Der Fall Lerouge
Germain und ich in dem anderen schlafen. Ich dachte: Sei wachsam, Lerouge! Den ganzen Abend hatten sich Claudine und die andere Amme heimliche Blicke zugeworfen, und das war mir denn doch zu verdächtig. Also blieb ich stur, erklärte, ich wärâ zu eifersüchtig, um meine Frau auch nur eine Minute allein lassen zu können. Da konnten sie nichts machen. In dem Zimmer, in dem die Amme und Claudine sich ins Bett legten, setzte ich mich in einen Lehnstuhl. Ich war fest entschlossen, kein Auge zuzutun, und das gelang mir auch. Um Mitternacht hörte ich, wie Claudine aufstand. Will sie jetzt die Kinder vertauschen oder nicht? dachte ich. Ich schwankte zwischen ja und nein und geriet darüber so in Wut, daà ich sie packte und auf sie einschlug. Dabei brüllte ich das ganze Haus zusammen. Die Amme zeterte auch, als hätte ich sie am Hals und würde sie würgen. Und in diesen Hexentanz stürzte Germain mit einer Kerze herein. Als ich den auch noch sah, warâs ganz aus. Ich sah nur noch rot, zog ein Messer aus der Tasche und stieà die Klinge unserem Säugling in den Arm. Und ich schrie so was wie âºDas Kind kann jetzt nicht mehr vertauscht werden, ich habe es fürs Leben gezeichnet!â¹Â«
Lerouge machte freiwillig eine Pause, um sich den SchweiÃ, der ihm in groÃen Tropfen auf der Stirn stand, wegzuwischen und um tief Luft holen zu können. Ehe er fortfuhr, schnaubte er sich noch einmal die Nase, um seiner Erregung Herr zu werden.
»Der Kleine blutete stark, und ich muÃte ihn erst einmal verbinden. Aber damit war die Geschichte für mich noch nicht am Ende. Ich wollte ganz sichergehen und schrieb in ein paar Sätzen auf, was sich zugetragen hatte. Dann zwang ich alle drei, mit mir das Blatt zu unterschreiben. Selbst Germain wagte nicht, sich zu widersetzen. Ich hatte ja auch das Messer in der Hand, als ich ihn aufforderte. Ich muÃte ihm nur versprechen, dem Grafen nichts von allem zu erzählen. Er würde schweigen wie ein Grab. Der anderen Amme sagte er, sie sollte auch den Mund halten.«
»Was ist aus dem Schriftstück geworden?« fragte Daburon.
»Das besitze ich noch. Ich habâ es mitgebracht, weil der Beamte, der mich zuerst vernommen hat, gesagt hat, es wäre besser, wenn ich es mitbringe. Hier ist es ...«
Lerouge zog aus seiner Brieftasche ein vergilbtes, brüchig gewordenes Stück Papier, das er vorsichtig dem Untersuchungsrichter überreichte.
»Ich habe es seit der verfluchten Nacht im Gasthof nicht wieder gelesen.«
Daburon überzeugte sich davon, daà das Blatt eine kurze Darstellung der von Lerouge so umständlich erzählten Ereignisse enthielt und daà diese von vier Unterschriften bestätigt worden waren.
»Das Blatt haben wir. Wo aber sind die beiden Unterzeichner. die ich noch nicht kenne?« fragte der Untersuchungsrichter.
»Germain ist gestorben«, erwiderte Lerouge. »Claudine, das wissen Sie ja, wurde ermordet. Aber die andere Amme lebt noch. Sie heiÃt Brosette und wohnt im Dorf Commarin.«
»Haben Sie sonst noch etwas auszusagen?« fragte Daburon, nachdem er sich Namen und Adresse der Amme notiert hatte.
»Claudine hat am anderen Morgen versucht, mir das Versprechen abzuluchsen, mein Leben lang nichts von dem zu sagen, was sich in dieser Nacht abgespielt hat. Das Kind von Madame Gerdy lag im Fieber und hat eine groÃe Narbe am Arm zurückbehalten.«
»Hat Madame Gerdy von diesen Ereignissen überhaupt je erfahren?«
»Ich weià es nicht, kann es nicht mit Sicherheit sagen.«
»Was soll das heiÃen?«
»Das hat mit dem zu tun, was sich später noch alles ereignete, Monsieur ...«
»Und was war das?«
»Das betrifft nur mich und ...« Lerouge sprach nicht weiter.
»Monsieur Lerouge«. sagte Daburon streng. »ich halte Sie für einen Ehrenmann. auch wenn Sie einmal in Ihrem Leben unter dem Einfluà Ihrer Frau an einem schweren Unrecht beteiligt waren. Sie sind zumindest Mitwisser eines wenigstens geplanten Verbrechens. Machen Sie alles dadurch wieder gut, daà Sie jetzt die volle Wahrheit sagen. Ich versichere Ihnen, daà alles, was in diesem Raum gesprochen wird und nicht mit dem Verbrechen zusammenhängt, unter uns bleibt. Scheuen Sie sich nicht. Und das Peinliche an der Angelegenheit können Sie als Ihre Strafe auffassen.
»Ich bin, bei Gott, hart genug bestraft worden«, antwortete der Seemann.
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