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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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von einem Geständnis, und dem üblichen Versuch, alles auf ein totes Geleise zu schieben, wohl zu unterscheiden. Es ist eine überlegte Beleidigung, darauf berechnet, den Getroffenen zu reizen und zur Abwehr zu veranlassen. Aber Maurizius atmet erleichtert auf. »Geschwiegen«, spricht er vor sich hin und ballt die Fäuste an den schlaff hängenden Armen, »was bleibt einem schließlich übrig als zu schweigen. Das ganze Verfahren hat ja keine andere Absicht, als die Menschenwürde zu zertreten. Man kann sich nur durch Schweigen helfen. Der Trotz verhärtet einen, erstickt einen, aus Trotz verstummt man, das einzige, womit man noch ein trauriges bißchen Menschenstolz retten kann, ist der Trotz.« Sein Blick wird starr und geht in eine entlegene Vergangenheit zurück, es scheint, daß in seinem Geist eine beständige, stückweise, rasch fliehende Gegenwart von zeitlich weit auseinanderliegenden Ereignissen herrscht, die unvermittelt ein Bild, ein Wort, einen Traum von gestern neben solche von vor zwanzig Jahren rücken. Herr von Andergast wirft ein, abermals sehr ruhig, er habe noch keinen gesehen, der sich auf die Dauer in seine Trotzigkeit verbeiße, wenn es um den Kopf gehe, um Leben und Seligkeit; das sei eben der Sinn des von Maurizius so verächtlich kritisierten Verfahrens, daß es den Beschuldigten von seiner Eitelkeit entblöße, damit er gleichsam nackt dastehe, nackt vor der Tat, nackt vor dem Richter. Maurizius lacht hämisch durch die Nase. »Wundervoll«, ruft er heiser, »wundervoll getüftelt! Nackt vor dem Justizwachmann, nackt vor dem Polizeikommissar, nackt vor dem Schließer im Untersuchungsgefängnis, nackt vor jedem Schreiber. Aber das ist es gar nicht, das Nacktsein, weit gefehlt, das ist es gar nicht.« Er stellt sich in den Winkel der Mauer und agiert mit fahrigen Gesten. (Das Fahrige allein erinnert manchmal noch an seine Vorsträflingszeit.) Ein Öffnen und Wiederverkrampfen der Hände ballt gleichsam zusammen, was er, vom Moment der Verhaftung bis zu dem der Verurteilung, an unvergeßlicher Erniedrigung aushalten mußte. Der rohe Kasernenton untergeordneter Organe oder, schlimmer noch, ihre augenzwinkernde Vertraulichkeit. In ihren Machtbereich geraten heißt jeden Anspruchs auf Respekt verlustig gehen. Verfeinerung fordert ihren Hohn heraus, geistige Überlegenheit ihren Haß. Leistung, Verdienste gelten nichts mehr, was du bis gestern gewesen bist, ist ausgetilgt. Endlich können sie selber einen von denen kujonieren, die sonst das Privileg besitzen, sie zu kujonieren; und sie tun es mit boshafter Lust. Er leugnet seine Schuld? Kniffliges Manöver. Verdacht ist Verdacht. Verdacht ist so gut wie Beweis. Hierin überbieten sie womöglich noch die Vorgesetzten, da ja nach unten hin die Verantwortungen sich mindern. Bei ihnen kommt das Klassen-Ressentiment hinzu, sie sind überzeugt, daß die Reichen und die Gebildeten wider die Armen und Unwissenden trotz aller verkündeten Gleichheit vor dem Gesetz heimlich verschworen sind, und so wollen sie ihr Mütchen kühlen, gedeckt von demselben Gesetz. Als man ihn in dem Hamburger Hotel verhaftete, befahl ihm der Polizeibeamte, vom Bett aufzustehen, erlaubte ihm nicht, sich anzukleiden, er mußte, im Hemd, warten, bis alle Kleider durchsucht, alle Briefschaften und Papiere geprüft waren. Lange Jahre gehörte das Bulldoggengesicht dieses Mannes zu den Schreckbildern, mit denen ihn seine Phantasie peinigte, die verächtliche Miene, mit der er die feine Wäsche durchwühlte, das Nicken verdrängten Neides und befriedigter Rache, dies eine ganze Welt beleuchtende Kleinbürgernicken, als er die goldene Zigarettendose und die Toilettengegenstände musterte. Dann die erste Gefängnisnacht, zusammen mit einem alten Kuppler und einem syphilitischen Dieb, das Essen, die mürrisch hingeschobene Schüssel breiiger Rüben, der Gestank, der Schmutz, die jähe Degradation zur Hefe, der grüne Transportwagen, die Fahrt auf der Eisenbahn mit den zwei Gendarmen, die schon in Fangfragen dilettierten, die Untersuchungshaft, der Untersuchungsrichter, der alles bereits wußte, die Tat samt Umständen und Motiven, gegen jeden Einwand gewappnet war, die plausibelste Erklärung belastender Aussagen mit dem Lächeln des besser Informierten entgegennahm, Verhör auf Verhör anordnete, morgens, abends, nachts, die Fragenfolter so weit trieb, daß das Gehirn wie ein wunder Klumpen im Kopf glühte, unerlaubte Fallstricke legte, durch Strenge zu erschrecken, durch

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