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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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verdoppelte er seinen Diensteifer, brachte die Nachmittage, die Abende in Warschauers Stube zu, verkroch sich in einen Winkel, wenn andere Schüler und Schülerinnen Unterricht hatten, begann ein Verzeichnis der Bücher anzulegen, ordnete die Schubladen mit der Wäsche, nähte locker gewordene Knöpfe an den Kleidern des Professors fest, trug die Manuskriptblätter zu dem Museumsdirektor, büffelte Vokabeln und Regeln und machte sich möglichst unscheinbar. Eines späten Nachmittags kam er mit einem Strauß Maiglöckchen an, den er unterwegs gekauft hatte, und reichte sie Warschauer mit einem trotzigen Lächeln. Dieser gebärdete sich auffallend übertrieben und tartüffisch. Er schlug entzückt die Hände zusammen und rief in einem singenden Derwischton: »Wundervoll, kleiner Mohl, wundervoll! Maiglöckchen, welcher Glanz in meiner niederen Hütte! Eine zartsinnige Idee. Da merkt man wieder die gediegene Erziehung, die ästhetische Veranlagung. Unter keinen Umständen könnte sich etwa Paalzows Junge so was ausdenken! Bezaubernd. Leider haben wir keine würdigen Behälter, müssen mit einem gemeinen Wasserglas vorliebnehmen. Allein der Geber adelt das Gefäß . . .« So ging es noch eine Zeitlang weiter, Etzel wurde so nervös, daß er ihm ins Gesicht hätte springen mögen. Plötzlich bemerkte Warschauer, daß die Nässe von ihm troff. Er war ohne Schirm im Regen gegangen, Mantel und Mütze waren zum Auswringen, die Strümpfe klebten an den Beinen. Da begann das Getue erst recht. Der Professor jammerte, als hätte er einen Schwerverwundeten vor sich. Er drang darauf, daß sich Etzel der Schuhe und Strümpfe entledigte, hängte Mantel und Jacke zum Trocknen auf, holte eine Wolldecke aus dem Alkoven und wickelte ihn ein, hieß ihn sich aufs Sofa legen, was Etzel erst nach einigem ärgerlichen Weigern tat, und schickte sich alsbald an, ihm zur Erwärmung Tee zu kochen. Seine Bestürzung, seine Geschäftigkeit, sein Gewimmer, die Art, wie er die Hände aneinanderrieb und fortwährend »tz, tz, tz« machte, war so augenscheinliche Komödie, daß es Etzel endlich nicht mehr ertrug und ihn mit blassen Wangen anschrie: »Hören Sie doch auf. Das tun Sie alles nur, um mich zu verhöhnen. Weil Sie von wirklichen Sachen nicht mit mir reden wollen. Ich hab aber genug davon. Ich geh heim.« Und er warf die Beine vom Sofa und setzte sich aufrecht. Warschauer streckte eben den Arm nach der chinesischen Teeschachtel auf dem Holzregal. Er drehte sich langsam um. »Von was für wirklichen Sachen, mein lieber, junger Freund?« erkundigte er sich honigsüß, mit gespielter Überraschung. – »Nun, ich hab Sie ja schon einmal gefragt«, stieß Etzel verdrossen hervor. »Sie haben mir nicht darauf geantwortet.« – »Was? Um was handelt es sich?«, forschte Warschauer, sich noch immer stellend, als wisse er nicht, wovon die Rede sei. – »Ich hab Sie gefragt, ob Sie glauben, daß er schuldig ist . . . Maurizius.«
    Warschauer tat groß erstaunt. Die Teeschachtel in der einen, den Deckel in der andern Hand, schritt er kniesteif zum Sofa. »Da Sie über die Fakta so genau orientiert sind, kleiner Mohl, wird Ihnen doch bekannt sein, daß ich es damals beschworen habe.« Die Stimme klang jetzt nicht mehr ölig, sondern trocken. »Ja, schon . . . das schon . . .« erwiderte Etzel und heftete die Augen verschlingend auf die schwarzen Brillengläser, »aber man kann sich täuschen. Ist jede, jede, jede Möglichkeit ausgeschlossen, daß Sie sich getäuscht haben?« – »Donnerwetter«, murmelte Warschauer. Es war das dreimalige »jede«, das ihm den Ausruf abnötigte. »Eine derartige Täuschung hätte doch immerhin auf einem realen Vorgang beruhen müssen, junger Mohl«, sagte er und stellte die Teeschachtel fast unhörbar auf den Tisch. – »Gewiß«, gab Etzel zu, »er kann zum Beispiel geschossen und nicht getroffen haben.« – Warschauer grinste. »Soso. Geschossen und nicht . . . Merkwürdig. Eine beachtenswerte Theorie.« – Etzels Augen funkelten zornig. »Ich sag Ihnen was, mit Ihrem Sarkasmus können Sie mir nicht imponieren. Das ist, wie wenn einer nicht ehrlich ringen will, sich in Sicherheit bringt und die Zunge heraussteckt. Schämen Sie sich.« – »I understand«, sagte Warschauer ruhig und starrte den erregten Knaben eine Weile aufmerksam an. »Ich will offen mit Ihnen reden, Mohl«, sagte er dann, »auch wenn ich mich getäuscht hätte, es hätte keine Täuschung sein dürfen.« – »Was heißt das? Erklären Sie

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