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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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verbotene Wege und schlechtes Gewissen. Das ganze Phrasengewitter ausgelaugter Konflikte tobte sich aus, und das jämmerliche Ende kam wie ein geschwungener Hammer, ob ich nun eingriff oder nicht. Und hätte ich etwa nicht eingreifen sollen? Sie waren so armselig alle drei. In ihrer augenlosen Verwirrung flatterten sie herum wie Vögel ums zerstörte Nest, die triste Komödie schrie geradezu nach dem Gott aus der Maschine, sie konnten gar nicht mehr zurechtfinden ohne mich, sie hatten keinen Willen mehr, nur noch Trieb, nur noch Angst. Meine Galathee, meine Helena, von einem Narren geraubt! Wenn's wenigstens ein Paris gewesen wäre, aber nein, nicht der blasse Schimmer. Besudelt fand ich sie wieder, in den Morast geschleift, ihr ganzes Wesen flehte um Rettung, was war sie denn ohne mich, aber sie wollt es nicht wahrhaben, und als ich sie aus dem Pfuhl herausfischte, war sie eine Leiche. Will sagen, sie hatte keine Seele mehr. Sie ging allerdings auf der Erde herum, aß und trank zur Not, kaufte sich Toiletten und las Bücher und besuchte Museen und . . . war eine Leiche. Ich bin kein Christus, konnte nicht Jairi Töchterlein neuen Odem einblasen. Im Gegenteil, ein kaputter Mann war ich um diese Zeit, kaltgestellt wie auf Kommando. Kein Hund wollte mehr einen Bissen Brot von mir nehmen, meine eifrigsten Förderer kannten mich nicht mehr, man war nicht mehr für mich zu Hause, man erinnerte sich nicht, mit mir Ideen ausgetauscht und Pläne geheckt zu haben, Briefe kamen uneröffnet zurück, die Geldquellen versiegten, es blieb mir nichts übrig, als meine Zelte abzubrechen und mit meiner entseelten Halbleiche wie die wahnsinnige Johanna mit dem Kadaver ihres Gemahls außer Landes zu gehn. Nach Westen. Weiter nach Westen.«
    Er trat ans Fenster und trommelte derart heftig und andauernd an die Scheibe, daß Etzel in seiner quälenden Nervenanspannung unwillkürlich die Hände an die Ohren preßte. Nach einer Weile traute er sich hin und zupfte ihn am Rock. »Herrje, hören Sie doch auf«, bat er leise. Warschauer ließ den Arm sinken, drehte sich aber nicht um. »Und wie war das mit dem Gott aus der Maschine?« fragte Etzel flüsternd, »das ist doch das Allerinteressanteste . . .« Warschauer machte eine wegwerfende Geste. »Mag sein, mich interessiert es momentan nicht«, gab er schroff zur Antwort. »Sehen Sie die Gestalt da drüben am Fenster? Richtig, so weit können Sie nicht sehn, Sie armer Salamander. Eine nackte Frau. Sie badet ihre Füße. Eigentlich schön. Friedlich und schön. Vielleicht ist sie jung und hübsch, ich kann's nicht ausnehmen, sie sitzt im Schatten, aber wenn sie jung und hübsch ist, wollen wir ihr für ihre Sorglosigkeit einen dankbaren Gedanken widmen. Das Leben geht doch nicht ganz über einen hinweg. Aber ich fürchte, es ist eine Illusion, sie wird eine alte Vettel sein.« – »Du liebe Zeit, was für ekelhafte Sachen Sie manchmal reden«, sagte Etzel, »was kümmert uns das fremde Weibsbild.« – »Jaja, was kümmert uns das fremde Weibsbild«, wiederholte Warschauer in seltsam schwermütigem Ton. Etzel blickte überrascht auf und schlug dann beschämt die Augen nieder. Da lachte Warschauer klapprig, es klang, als wäre die Stimme zerbrochen. »So stand ich auch einmal am Fenster«, begann er ohne Übergang zu erzählen, die Stirn an die Glasscheibe gelehnt, »in der Nacht, in einer kleinen französischen Stadt, in einem kleinen, leeren Gasthof, spät im Herbst, stand am Fenster und schaute hinaus, und in einem Fenster gegenüber sah ich ein geigenspielendes Mädchen. Man hörte nichts, man sah bloß, wie sie mit innigem Gefühl den Bogen führte, auf und ab, ihre zarte Figur schimmerte nur durch die weißen Gardinen. Und hinter mir, so wie jetzt Sie hinter mir stehen, kleiner Mohl, hinter mir stand . . . Anna. Die Koffer waren gepackt, am andern Morgen sollten wir reisen, sie nach Paris, ich nach Cherbourg. Wir waren am Ende.«
    Er sprach, nach einer Pause, von den letzten zehntausend Francs, die er im Bakkarat verspielt. Viertausend blieben dann noch übrig, der Rest von Annas Vermögen, die teilten sie, und der weibliche Schatten, der ihn bis zu diesem Absturz begleitet hatte, vielleicht nur deswegen, weil er nirgends auf der Welt seines Bleibens hatte, löste sich von ihm los, mit derselben Lethargie, mit der er neben ihm hergegangen. Paris? Gut, Paris. Und dann? Sie wußte es nicht. Welkes Blatt im Wind. Ein Jahr lang hatte er, damals noch Gregor Waremme und von verloschenem Ruhm

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