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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Hause sind, beim Sprechen genau zu, und Sie merken, daß sie vor jedem Ich, das sie sagen, eine kleine Pause machen, wie wenn einer mit verbundenen Augen Angst hat zu stolpern, es hat mich immer sehr ergriffen. Überhaupt das mit den Leuten, das ist ein ganz besonderer Punkt, wie soll ich Ihnen das begreiflich machen oder nur auseinandersetzen, da find ich kein Ende, wenn ich nur anfange, schwankt mir schon alles vor den Augen, ich hab kein Talent zum Virgil, und ein Dante hat das noch nie geschaut, will mich dünken. Ich möchte Sie auch nicht langweilen, hoffentlich langweilt Sie's nicht, nein? Das ist gut. Vorher will ich noch was von den Hoffnungen und Erwartungen sagen, weil ich doch von den Erinnerungen sprach, die allmählich so was Flimmriges und Winziges wie Mikroben bekommen, ausgenommen die eine oder die andere, die wie eine Fackel dasteht, obwohl nichts an ihr dran ist, sie überwältigt einen doch, man weiß nicht warum . . . aber was man erwartet, worauf sich die Neugier richtet, das ist so, daß man sich schämen muß, so niedrig, so armselig. Was der Wärter für ein Gesicht machen wird, wenn er aufsperrt, ob der Herr Pastor beim Gottesdienst wieder so wettern wird wie das letzte Mal, ob heute ein Neuer eingeliefert wird, ob es gelingen wird, Zigaretten zu kriegen, ob sich im Gang die Maus wieder zeigen wird, die gestern zum allgemeinen Gaudium an der Hose des Inspektors hochlief . . . Ja, das mit den Leuten. In den ersten paar Jahren war's mir eine Erleichterung, mit den andern im Arbeitsraum beschäftigt zu werden. Siebzehn Monate schlief ich auch im gemeinsamen Schlafsaal mit meiner Gruppe. Aber in der Zeit war ich noch verkrampft, ich sah die Gesichter nicht, unterschied keinen vom andern, gelbliche Schatten operierten vor mir herum, solang das Schweigegebot in Kraft war, merkt ich auch nicht, daß sie mir aufsässig waren, und wenn sie reden durften, hört ich nicht hin und merkt es auch nicht. Sie hielten mich für hochmütig und unzugänglich, er bildet sich ein, was Besseres zu sein, höhnten sie, nannten mich den Schulmeister und den Kathederfritzen, na, das kennt man ja. Aber weil ich einmal bei einer Ausbruchsverschwörung und ein andermal, als es sich um geschmuggelten Schnaps und eine wüste Sauferei handelte, mich unwissend stellte und keinen verriet, obwohl der Direktor und der Assessor leichtes Spiel mit mir zu haben glaubten, stieg ich in ihrer Schätzung, und sie ließen mich nach ihrer Weise gelten. Das blieb dann Tradition. Die Tradition über einen Sträfling ist das Stärkste in so einem Haus. Jedoch ich wußte damals von keinem einzelnen was, keiner interessierte mich, ich fragte nichts und nach niemand, eigentlich kannt ich nur die Schuhe von einem jeden, und nachts, das war das Wunderlichste in jener Zeit, nachts, kaum aufs Bett gefallen, schlief ich wie ein Klotz. Das können Sie sich von vielen bestätigen lassen, die so wie ich aus der Geisteswelt ins Zuchthaus geraten, daß sie jahrelang nachts daliegen wie ein Klotz. Offenbar steht einem da die Natur zur Seite, sie will nicht alles zugleich in einem kaputtmachen lassen und schlägt vor der Menschenwut eine Tür zu, die letzte, die sie hat. Doch einmal in der Nacht wach ich auf, und es kribbelt und fingert was an meinem Körper herum. Mir wird gleich, ich weiß nicht wie, ich spür einen Bart und haarige Arme und schweißige Hände. Ich fahr auf und will den Kerl abdrängen, da speit er mir seinen stinkenden Atem ins Gesicht und röchelt: Hält's Maul, du Hund. Da fang ich an, mit ihm zu ringen, und neben und unter mir hör ich kichern und sappern, mein Bett war eins von den oberen. Der Kerl fährt mir mit der Hand an die Kehle, mit der andern ans Gemächte, ich stoß ihm die Knie in den Magen und die Finger in die Augen, er flucht schauerlich, ringsherum kichert und sappert es weiter, endlich werd ich Herr über ihn, und mit Krach und Getöse stürzt er aus dem Bett auf den Boden hinunter. Der Wärter erscheint, da ist schon alles totenstill. Am andern Tag hab ich dann um Einzelhaft nachgesucht, ohne von dem Zwischenfall was verlauten zu lassen, der Direktor, den wir damals hatten, derselbe, der mir das mit den fünfzehn Monaten gesagt hatte, war mir nicht feind, als ich ihm sagte, ich müsse in kürzester Frist zugrunde gehn, wenn ich nicht in die Zelle käme, sah er mich durchdringend an, als verschweige ich ihm was, dann erwiderte er: gut, es wird veranlaßt. Es dauerte noch drei Wochen, bis es soweit kam, wir waren

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