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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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dringende, unaufschiebbare. – Von wem? – Von einem ihr sehr nahestehenden Menschen. – Wir wissen von keinem Menschen, der ihr nahesteht und geheimnisvolle Botschaften zu senden hat. Vielleicht erklären Sie sich deutlicher. – Es ist unmöglich hier. – Tut mir leid, aber . . . nennen Sie den Namen des Betreffenden. – Pause. – Endlich, halberstickten Tons: Maurizius. – Darf ich Ihre Adresse erfahren? – Parkhotel. – Sie werden in einer Stunde einen Brief bekommen. – Er wartet in der Halle. Genau eine Stunde später händigt man ihm einen Brief ein. Er lautet: »In Voraussicht dessen, was eingetreten ist, haben wir Hildegard vor drei Tagen zu guten Freunden ins Ausland geschickt. Wir hätten es weder vor uns selbst, noch, bei ihrem zarten Naturell und ihrem sehr empfindlichen Gemütsleben, vor ihr verantworten können, wenn wir sie einer Störung und fortlaufenden Beunruhigung ausgesetzt hätten, die wahrscheinlich ihre ganze Zukunft gefährdet, wenn nicht vernichtet hätte. Das muß der Mann am ehesten begreifen, in dessen Auftrag Sie sich an uns wenden, und es muß das Gesetz seines Verhaltens sein. Stets war es die Hauptsorge der Erzieher des lieben Kindes, es nicht mit einem Wissen zu beschweren, das ihm das Leben von vornherein verdunkelt hätte. Diese Pflicht haben wir mitübernommen und müssen ihr auch weiterhin gehorchen. Sie ist für alle Beteiligten eine Selbstverständlichkeit. Kruse und Frau.« Maurizius erhebt sich wie aus einem Loch, zerknüllt das Papier in der Faust, fällt ohnmächtig nieder. Einige Gäste bemühen sich um ihn, als man ihn in sein Zimmer schaffen will, erlangt er das Bewußtsein wieder. Daß ihm das Bewußtsein nicht dient und ihn nicht freut, ist eine Sache für sich
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    Der Vorsatz Anna Jahn, verehelichte Duvernon, zu sehen und ein Zusammensein mit ihr herbeizuführen, konnte nur in einem Geist entstehen, dessen Verhältnis zur Umwelt der natürlichen Maße beraubt ist. Augenloses Verlangen, sich an Gewesenes anzuklammern; verflackernde Hoffnung, von dort aus einen Weg zu Hildegard zu finden, eine Vertröstung, eine Frist, nicht das zugeschlagene Tor, nicht die endgültige Absage, nicht das »Pack dich, Gezeichneter«, sondern vielleicht ein Menschenwort, ein zur Besinnung gekommenes Herz, ein Empfängliches und Empfangendes, Hinüberweisen ins Lichtere des Daseins, so weit verirrte er sich noch immer, der unheilbare »Romantiker«, in die verklärten Sphären, wo Ausgleich ist und Geschwisterschaft der Seelen. Und dann dieses noch; es kann und darf nicht sein, wie es ist, und deshalb ist es nicht. Das, was ist, leugnen, es nicht sehen wollen, das andere erzwingen und ertrotzen, wider alle Vernunft, im Sturmlauf gegen die Mauer. Das vergewaltigende Sinnliche, das keine Wahrheit annimmt, kein Andersgewordensein erkennt und Möglichkeiten vortäuscht, wo es keine mehr gibt. Solche müssen erfahren, schwer erfahren, wieder und wieder durch die Erfahrung aufs Haupt geschlagen werden. So reiste er am nächsten Tag nach Echternach bei Trier, hart an der luxemburgischen Grenze, nahm in einem geringen Gasthof Quartier und schrieb an Anna Duvernon, unter dem Namen Markmann, aber so, daß sie wissen mußte, wer sich darunter verbarg, er sei für einige Stunden hier und müsse sie sprechen, sie möge Ort und Zeit bestimmen. Die Duvernonschen Ziegeleiwerke lagen eine Viertelstunde vom Ort, das Wohnhaus befand sich in geringer Entfernung davon, wie man ihm mitgeteilt hatte, er schickte den Brief durch einen Boten hin, dem er einschärfte, ihn der Dame selbst zu übergeben. Das war um drei Uhr. Um halb fünf fuhr ein kleiner Opelwagen vor dem Gasthof vor, er sah vom Fenster aus, wie eine Frau ausstieg und rasch ins Haus eilte. Er blieb wie gelähmt am Fenster stehen, und als es an der Tür pochte, gehorchten die Lippen nicht, um herein zu sagen. Da war die Besucherin schon im Zimmer, gehetzt atmend, fahlen Gesichts, mit dunklen stumpfen Augen unruhig um sich schauend. Sie trug ein blaues Kleid, gelben Staubmantel, kleinen gelben Hut, darüber einen blauen Schleier, also das Allgemeinste nur, von Duft und Glanz war nichts mehr da, nichts von dem Seltenen, Einmaligen, das spannt und quält, beschäftigt und beglückt, eben weil es selten, weil es einmalig ist, alles ein wenig verfettet oder ein wenig vertrocknet oder in den Linien da und dort verschoben, ein wenig nur, doch eben das Wenige bedeutete Zerstörung. Wie die Haut welk geworden, war auch in der Haltung und im Blick

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