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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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an jenem Oktoberabend zwischen Ihnen und Leonhart gesprochen wurde, als er Sie zum letztenmal aufsuchte?« Maurizius schüttelte den Kopf. Nicht, weil er die Frage verneinte, er wunderte sich nur, daß jemand glauben könne, es sei möglich für ihn, sich in dieser Sache an den allergeringsten Umstand nicht zu erinnern. Zugleich überzog sich sein Gesicht wie mit einem grauen Schleier. Der Mann dort hinterm Schreibtisch verstand zu zielen und zu treffen. Jetzt hatte er endlich den höllischen Bleistift beiseite gelegt, dafür schaute er einen mit den blauen Augen an, als wollte er einen einladen, direkt in sie hineinzuspazieren. Heiliger Heiland, was hatte der Mann für Blau in den Augen, es war, als ob sich alles drin spiegelte, was damals geschehen war! Er griff nach einem der Hornknöpfe an der Joppe und drehte ihn krampfhaft. Es ist überflüssig, zu erzählen, wie ihn der Junge mit Lügen traktiert hat, faustdicken Lügen, er deutet es nur an, mit gesenktem Kopf. Gelogen das mit der Studienreise im Auftrag der Regierung; gelogen das mit den zwölfhundert Mark, die er für seine letzte Arbeit hätte bekommen sollen, wenn der Verleger nicht falliert hätte; gelogen, daß ihn Herr von Krupp zur Begutachtung eines zweifelhaften Niederländers eingeladen; gelogen schließlich, daß er erst morgen habe kommen wollen, um Abschied zu nehmen, daß ihm aber jemand in Wiesbaden gesagt habe, der Vater sei krank, worauf er den Grafen Hatzfeld gebeten habe, ihm sein Auto zu leihen. Er war gar nicht in Wiesbaden, und ein Juweliersauto war ihm nicht gut genug, es mußte ein gräfliches sein. Was für armselige Lügen, eine hatte immer kürzere Beine als die andere; krank? nein, Peter Paul Maurizius hütete sich, krank zu sein, damals, solang er zu warten hatte, bis sein Tag kam, genau wie er sich heute krank zu werden hütet, da er erst recht zu warten hat, bis sein Tag kommt. O die kleinen, dummen Jammerlügen, sie sollten bedeuten: schau mich an, was ich für ein Kerl bin, wie ich geehrt werde, kannst stolz sein auf mich, hab's weit gebracht in der Welt! Wenn nur das Gesicht nicht gewesen wäre, das die Lügen Lügen strafte; sah aus, als ob er drei Tage und drei Nächte gesoffen und gehurt hätte, oder wie einer, den sie aus einem brennenden Hause geschleift haben, so daß ihm noch der Schrecken im Genick sitzt.
    Der Hornknopf war abgedreht. Maurizius hielt ihn in der Hand, schaute ihn bestürzt an und ließ ihn in die Tasche gleiten. Seine Erzählung war ein monotones, kaum verständliches Gemurmel gewesen. Nun machte er zwei Schritte ins Zimmer hinein, als brauche er zu dem, was er jetzt sich zu sagen entschloß, die größere Nähe des Zuhörers. »Er hatte sich wohl vorgestellt, daß ich ihm mit Fragen zu Leibe rücken und ihm schöntun sollte. Er hatte sich wohl gedacht, nachdem wir Jahr und Tag . . . das war ja nun mal so, Herr Oberstaatsanwalt, wegen dieser Heirat . . . da gab's bei mir keine Freundschaft mehr, da war's aus, da hätt er ebensogut Leonhart Schulze heißen können. Er hatte sich wohl gedacht, ich sollte ihm, da er von selber kam und in der Nacht vor mir dasaß und so herumredete, als sollt er morgen ins Narrenhaus kommen, da hatte er sich vorgestellt, ich sollte ihm die Hand bieten. Das war's, sehr geehrter Herr. Und das tat ich nicht. Ich merkte wohl, wie der Hase lief, aber ich, ich tat nichts dergleichen. Und das, Herr Oberstaatsanwalt, das wird mir auf dem Gewissen sitzenbleiben. Das wird mir angerechnet werden. Der Mensch ist ein Luder. Wo der Mensch nicht will und sich verbockt, wird er zum Luder. Schlechtweg. Worum hat sich's denn gehandelt, ich bitte.« (Er trat noch einen Schritt näher, legte die flache Hand auf den Kopf, und die riesigen nackten Ohrlappen wurden blutrot.) »Um zweitausend Mark. Sagen wir um dreitausend Mark. Wenn ich ihm die gegeben hätte, wenn ich's nicht in meiner schuftigen Hoffart darauf angelegt hätte, nicht bloß, daß er vor mir zu Kreuze kriechen soll, das hat er ja schließlich getan, aber daß ich recht behalten soll in der Sache mit der Elli, wenn ich mich da überwunden und ihm die zweitausend oder dreitausend gegeben hätte, ich hätt es bewerkstelligen können, das ist so sicher, wie ich hier stehe, dann wäre alles anders gekommen. Dann hätt er sich für eine Weile frei gemacht, dann wär er nicht mit der Verzweiflung im Herzen zurückgefahren in sein verfluchtes Haus, dann wär er nicht ins Garn gelaufen wie ein blinder Vogel. Dann hätte er gesehen, was um

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