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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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unverbindlich ist. Nehmen Sie Platz.«
    Das lautete schon besser. Na also. Wir sind auf dem Weg. Der Aufforderung, sich zu setzen, folgte er nicht. Das konnte eine Falle sein. Er antwortete mit der stereotypen Verbeugung. Es war die Höflichkeit eines Pinguins. Was ihn denn seinerzeit zu der Annahme bewogen habe, daß der Advokat Dr. Volland seinem Sohn aufgenötigt worden sei? Maurizius rieb die Lippen aneinander, um sie feucht zu bekommen. Ein lächerlicher Feuerfrosch hüpft rasend schnell vor seinen Augen. Wenn nur der Mann aufgehört hätte, den Bleistift um und um zu kehren. Das war ja zum Tollwerden. Der Bleistift wurde immer länger, er wurde so hoch wie ein Turm. Jetzt, liebe Gedanken, bleibt mir hübsch beieinander. »Es war keine bloße Annahme, Herr Oberstaatsanwalt; Leonhart hat mir gesagt, es sei gewünscht worden.« Der Bleistift, der verfluchte Bleistift; außerdem blitzte da noch so ein Diamant am Finger; gut, gut, man sah einfach zum Fenster hin, obschon es besser war, die Gefahr im Auge zu behalten, die Gefahr, in der alle Hoffnung steckte. Hatte er es recht gesagt? verständlich gesagt? Ihm war, als hätte er Sand zwischen den Zähnen und könne nicht ordentlich reden. – Von wem gewünscht? – Es war ihm eben nahegelegt worden. – Von einer bestimmten Person? – Von einer bestimmten Person. – Er täusche sich wohl über den wahren Sachverhalt. – Schwerlich, Herr Oberstaatsanwalt, (zu sich selber: das steht fest wie der Kölner Dom.) – Der Vorschlag könne von der Familie ausgegangen sein. – Das sei natürlich möglich, aber es sei da nur der alte Jahn gewesen, Gottlieb Wilhelm. – »Nun also . . .« – »Gehupft wie gesprungen, Herr Oberstaatsanwalt.« – »Was meinen Sie damit?« – »Der hat nichts im Sinn gehabt, als mein Kind zu verderben.« – »Unsinn, Mann, sein Verderben hatte Leonhart selber besorgt, der schlechteste Verteidiger konnte nichts hinzutun, der beste nichts wegnehmen.« – Außerdem habe Leonhart der Anna Jahn freie Hand gegeben, sie solle den Advokaten für ihn wählen, den sie für den geeignetsten halte. – »Naja, da hat sie eben den Volland für den geeignetsten gehalten.« – »Sehr wohl, Herr Oberstaatsanwalt, aber man hat bald gesehen, was an dem dran war.« – »Es haben sich auch andere erboten, es ist Sache des Angeklagten, sich den Verteidiger zu wählen, er mußte bei der ersten Unterredung wissen, daß er nicht gut bedient war.« – »Herr Oberstaatsanwalt, es ist ihm egal gewesen.« – »Was, egal! Keinem kann das egal sein, dessen Kopf schon unterm Beil liegt.« – »Doch, Herr Oberstaatsanwalt. Wenn einer unschuldig ist und keine Möglichkeit mehr sieht, seine Unschuld zu beweisen, dann ist ihm das egal, was so ein Paragraphenreiter an Spitzfindigkeiten vorbringt. Da hätte schon unser Herrgott selber plädieren müssen, und wer weiß, ob das genügt hätte!« Es entstand ein minutenlanges Schweigen. Ein gedankenaufsaugendes, düsteres Schweigen. Maurizius' Körper schwankt ein wenig, wie die Spitze eines Mastbaums bei mäßiger Brise. Er warf einen scheuen Blick auf den Oberstaatsanwalt. Irgendwas geht in dem Mann vor, dachte er, und sein Herz hörte einen Augenblick auf zu schlagen. Herr von Andergast strich mit der Rechten langsam über das Gesicht, mit vier Fingern über die eine Wange, mit dem Daumen über die andere. Es erregte ihm ein seltsames sinnliches Behagen, seine Wangenhaut zu fühlen. Unschuld, dachte er und dehnte in verstocktem Hochmut die Lungen, Unschuld! freche, wilde Phrase, wo Recht und Gesetz gesprochen haben; Unschuld, wo der Täter überführt, die Sühne noch im Vollzug, der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit genuggetan ist! Unschuld. Es war, als habe ihm der Alte einen Stein gegen die Brust geworfen. Doch Maurizius sah gut: es ging etwas in ihm vor. Es gab ein Mittel, seine Überzeugung noch unumstößlicher zu machen, als sie ohnehin war. Er konnte den Augenschein haben, es stand in seiner Macht. Er konnte sich vergewissern, wie dieser Leonhart Maurizius das ihm auferlegte Schicksal trug. Es war nicht ausgeschlossen, daß er ihm gegenüber das achtzehnjährige Schweigen brach, daß er seine Seele erleichterte, sich zur Demut bekehrte, zum Bekenner wurde. Solchen Sieg zu erringen war einiger Mühe wert. Das war es, was in Herrn von Andergast vorging und was der alte Mann, Geschöpf seines Wahns und seiner Hoffnung, durch geheimnisvolle Übertragung spürte. »Erinnern Sie sich vielleicht noch, wovon

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