Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
ist Schulbeginn. Peggy trifft gerade noch rechtzeitig ein. Auf dem Stundenplan stehen Mathematik, Deutsch, Heimat- und Sachkunde, noch einmal Deutsch, Kunst und schließlich in der sechsten Stunde Musik. Um 12.50 Uhr endet der Schultag für die Neunjährige, die es nicht besonders eilig zu haben scheint. Sie hilft gemeinsam mit ihrer Freundin Miriam Eder der Hausmeisterin beim Ausleeren des Papierkorbs im Klassenzimmer und beim Abwischen der Tische. Dann sucht sie noch eine Weile nach ihrem Geldbeutel, den sie schließlich in einem der Fächer unter den Bänken findet. Erst um 13.05 Uhr verlassen die Mädchen das Schulgelände. Die Hausmeisterin schaut den beiden noch nach, wie sie den Sportplatzweg entlang Richtung Nailaer Straße schlendern.
Zu dieser Zeit geht auch der Schüler Christian Otto nach Hause. Er sieht die Freundinnen an einem Kaugummiautomaten am Straßenrand stehen.
Zehn Minuten später erreichen Peggy und Miriam das Anwesen der Familie Eder. Es ist 13.15 Uhr, als Miriams Schwester Manuela aus dem Küchenfenster blickt und die Mädchen am Gartentor schwatzen sieht. Doris Gebhart, die Mutter einer Mitschülerin, fährt in diesem Moment am Haus der Eders vorbei und winkt den beiden aus dem Auto zu. Peggy habe sogar noch zurückgegrüßt, erinnert sie sich. Doris Gebhart weiß genau, dass sie die Schülerinnen um 13.15 Uhr gesehen hat. Zum einen kommt ihr Mann jeden Tag kurz nach eins von der Arbeit heim. Zum anderen hat sie heute auf ihre Tochter Sonja gewartet, eine Klassenkameradin von Peggy, um gemeinsam mit ihr ein paar Besorgungen zu machen.
Zwischen 13.15 und 13.30 Uhr sieht eine weitere Zeugin Peggy zügigen Schrittes die Nailaer Straße entlanglaufen. Claudia Ritter hat, wie jeden Montag, bei ihren Eltern zu Mittag gegessen. Ihr Vater bestätigt später, dass Claudia sich gegen 13.15 Uhr auf den Heimweg gemacht hat. Die Zeugin sagt bei ihrer Befragung durch die Polizei aus: »Ich habe sie nicht eingeholt, sie war ein paar Schritte vor mir. […] Aufgrund ihrer Haare erkannte ich sie als Peggy.« Auch den pinkfarbenen Schulranzen erwähnt Claudia Ritter, an dem, so ihre Erinnerung, unter anderem ein graues Plüschtier baumelte. Peggy sei weiter Richtung Marktplatz gelaufen und habe sich nahe dem Henri-Marteau-Platz auf Höhe der Raiffeisenbank kurz umgedreht, weshalb sie das Mädchen nun zweifelsfrei erkannt habe.
Gegen halb zwei biegt der Schulbus aus Naila um die Kurve am Henri-Marteau-Platz. Durch die Scheibe sieht die Schülerin Hilke Schümann Peggy an der Raiffeisenbank vorbei in Richtung Marktplatz laufen. »Ich sah ihren Schulranzen. Er war rosa, und es waren Figuren dran. Außerdem sah ich ihre langen blonden Haare. Ich weiß auch noch, dass sie eine Jacke anhatte und eine olivgrüne Hose.« Der Busfahrer Werner Lohr kann bei seiner späteren Befragung zwar keine Aussage zu Peggy machen, wohl aber bestätigt er Hilkes Angabe, der Bus habe den Henri-Marteau-Platz gegen halb zwei erreicht.
Peggy ist zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Schritte von zu Hause entfernt. Ob sie jemals in der Wohnung am Marktplatz 8 angekommen ist und diese später vielleicht noch einmal verlassen hat, kann niemand mit Sicherheit sagen. Denn von halb zwei an ist der Verbleib des Mädchens rätselhaft.
Als Susanne Knobloch am Abend des 7. Mai um Viertel nach acht von ihrer Spätschicht aus dem Alten- und Pflegeheim im nahe gelegenen Langenbach heimkommt, ist ihre Tochter nicht da. Die Wohnungstür ist abgeschlossen, in keinem der Zimmer brennt Licht, und im Flur liegt auch nicht wie sonst der achtlos hingeworfene Schulranzen, über den Susanne schon so oft gestolpert ist.
Die Tatsache, dass Peggy nicht zu Hause ist, beunruhigt die Mutter zunächst nicht. Ihre Tochter ist ein Schlüsselkind, sie musste früher als manche ihrer Klassenkameraden selbständig werden. Aber Susanne Knobloch hat Vorkehrungen getroffen für die Zeiten, in denen sie arbeitet. Im selben Haus wohnen alte Freunde von ihr, Maik und Elke Kaiser, die vor drei Jahren nach Lichtenberg gezogen waren. Sie stammen wie Susanne Knobloch aus der Gegend um Halle in Sachsen-Anhalt. Elke und Susanne sprechen sich regelmäßig ab, sie versuchen, ihre Schichten so zu legen, dass immer eine von ihnen auf die Kinder achten kann. So auch an diesem 7. Mai. Die Kaisers, die gegen Mittag von einem Termin in Weiden zurück sein wollten, sollten Jessica am Nachmittag vom Kindergarten abholen. Peggy wird wohl ebenfalls oben bei den Nachbarn sein, mag sich
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