Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Nachbarwohnung, all den von Peggy zu »Ersatz-Onkeln und -Tanten« ernannten Vertrauten, der weitverzweigten Verwandtschaft in Oberfranken und Sachsen – und dem tendenziell als asozial geltenden Milieu im Gasthaus »Zur goldenen Sonne«, in dem sie viel Zeit verbrachte.
Kapitel 3
»Ein Gewaltverbrechen ist nicht auszuschließen«
A m 8. Mai 2001, Tag eins nach Peggys Verschwinden, werden die Meldungen bei der Polizeiinspektion Hof stündlich aktualisiert. »Keine Hinweise der Bevölkerung über den Aufenthaltsort des Mädchens«, heißt es in einem Tickerschreiben um 10.29 Uhr. Es geht an die Staatsanwaltschaft Hof, das Landratsamt und die übergeordneten Stellen in München, Bamberg und Bayreuth. Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand sei ein Kapitalverbrechen nicht auszuschließen. Das Polizeipräsidium Oberfranken stellt über seine Homepage einen Fahndungsaufruf ins Internet.
Die Polizeiinspektion Hof richtet eine sogenannte Aufbauorganisation wegen »Verdacht auf Entführung« ein, die Vorstufe zur Bildung einer Sonderkommission. Polizeibeamte aus einem Umkreis von mehr als hundert Kilometern werden zur Verstärkung angefordert. Teams der Rettungshundestaffeln aus Hof, Würzburg, Kitzingen und Ansbach reisen an. Taucher kämpfen sich stundenlang durch den Fluss nahe der Lichtenberger Papierfabrik, andere durchkämmen die vielen Teiche und Weiher der Umgebung. Hunderte Polizisten streifen durch die umliegenden Wälder, durchsuchen zahllose unterirdische Stollen und auch die finsteren Gänge unter der mittelalterlichen Burg. Fahndungsplakate werden aufgehängt, Laufzettel mit der Beschreibung des Mädchens in Postkästen geworfen, an Bus-, Taxi- und Müllwagenfahrer im Umland von Lichtenberg verteilt. Im Laufe des Tages zieht der Einsatzleiter, Kommissar Ralf Behrendt, Teams aus Lichtenberg ab, um auch im Grenzgebiet zu Tschechien nach Peggy zu suchen.
In Lichtenberg selbst hat sich die Nachricht, dass ein Mädchen aus dem Ort vermisst wird, wie ein Lauffeuer verbreitet. In der kleinen Gemeinde herrscht Ausnahmezustand. Polizeibeamte und Journalisten klingeln an Haustüren, stellen Fragen, recherchieren. Während den einen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben ist, geben andere eifrig Auskunft. Es ist die typische Mischung aus Zurückhaltung und Unbehagen, Wichtigtuerei und Geschwätzigkeit, die zutage tritt, wenn etwas Ungewöhnliches passiert ist und man sich plötzlich im Fokus der Aufmerksamkeit wiederfindet.
Einer der ersten ernstzunehmenden Zeugen, den die Ermittler am 8. Mai aufsuchen, ist der Ladenbesitzer Langheinrich; die Beamten wollen wissen, wann er von Peggys Verschwinden erfahren hat. Im Vernehmungsprotokoll liest sich das so:
Frage: Wann haben Sie von der Vermissung der Peggy erfahren?
Antwort: Heute, als ich gegen sieben Uhr den Laden aufgemacht habe, ist Frau Knobloch total aufgelöst zu mir gekommen. Sie hat geweint und sie war fix und fertig. Sie fragte mich, ob ich die Peggy gesehen hätte. Ich habe ihr geantwortet: ›Nein, heute war sie noch nicht da!‹ Daraufhin sagte Frau Knobloch, dass Peggy seit gestern Abend verschwunden sei. Ich habe zu ihr gesagt, dass sie vielleicht bei Freunden sei und sie bestimmt wieder auftauchen werde. Sie [die Mutter] wurde wieder etwas ruhiger. Sie hat dann noch Semmeln oder Kuchen zum Frühstück mitgenommen. Die hat sie bezahlt und auch die Beträge, die von der Peggy her noch offen waren. Es dürften zusammen ca. 12,– DM gewesen sein. Dann ist Frau Knobloch wieder nach Hause gegangen.
Als ich gehört habe, dass die Peggy vermisst wird, war ich richtig aufgewühlt. Es war ja schließlich ein Kind aus der Nachbarschaft, und ich kannte sie gut vom Einkaufen her. Ich habe jetzt überlegt, wo könnte sie sein. Ich habe den 7. Mai nochmals Revue passieren lassen. Gegen 8 Uhr kamen heute zwei uniformierte Polizisten in mein Geschäft. Sie fragten mich, ob ich die Peggy gesehen hätte, außerdem fragten sie mich oberflächlich nach dem Tagesablauf für den 7. Mai 2001. Dann kam auch Kundschaft, und es war Tagesgespräch, dass die Peggy vermisst ist. Es wurde allgemein darüber gesprochen, ob jemand das Kind gesehen hat, und es wurde gerätselt, wo es sein oder was passiert sein könnte.
Gegen 10 Uhr kamen dann noch mal zwei Kripobeamte und haben mich intensiver ausgefragt. Vorher ist schon einmal die Feuerwehrsirene gegangen. Später habe ich erfahren, dass sie nach der Peggy suchen.
Ich habe meinen Laden am 8. Mai 2001 nicht geschlossen und normal
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