Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Umfeld. Wer sein Soll nicht erfüllte, wurde über Nacht im Wald ausgesetzt, wie Martin uns erzählte. Ihm gelang nach vier Wochen der Absprung, mit Hilfe seines Bruders kaufte er Susanne wenig später frei.
In Bayreuth wollten sie einen Neuanfang wagen. Martin suchte und fand eine kleine Wohnung für sich und seine Freundin, sein Geld verdiente er als Taxifahrer, Susanne nahm einen Job als Zuschneiderin bei einer Firma für Bademoden an. Als eine Kollegin eine der großen Maschinen unachtsam anschaltete, verlor die junge Frau zwei Fingerkuppen. An Arbeit war vorerst nicht zu denken. Die Nachricht, dass Susanne schwanger war, kam also – was die finanzielle Situation anging – alles andere als gelegen. Vom Gehalt eines Taxifahrers allein würde die kleine Familie kaum leben können, auch die Wohnung war für Zuwachs nicht geeignet. Aber Martin Schwarz hatte Glück. Kurz nach Peggys Geburt fand er eine Stelle bei einer mittelfränkischen Werkzeugfirma. Die kleine Familie zog nach Eckental in der Nähe von Nürnberg.
Doch die Idylle hielt nicht lang. Im Oktober 1992, nur ein halbes Jahr nach Peggys Geburt, brannte Susanne mit der gemeinsamen Tochter durch, wie Martin das formuliert. Eigentlich hatte sie nur ihre Eltern in Halle besuchen wollen, dort aber ihre alte Jugendliebe wiedergetroffen. Gemeinsam mit Peggy zogen die beiden nach Schwanewede bei Bremen.
Für das Kind begann mit diesem Schritt eine Zeit der absoluten Instabilität, eine Phase ohne längere Bindungen, außer zur Mutter. Denn die führte in den nächsten Jahren wechselnde On-off-Beziehungen. Peggy war noch kein Jahr alt, als Susanne vorübergehend zu Martin zurückkehrte. Schwarz gibt im August 2001 zu Protokoll: »Die Susanne hat sich wieder bei mir gemeldet, und auf ihre Bitte hin habe ich sie in Schwanewede abgeholt. Susanne sagte mir damals, dass das doch nicht das Richtige war und dass sie alles bereut.« Wenig später jedoch waren Mutter und Tochter bereits wieder in Norddeutschland.
Anfang April 1995 zog Susanne mit ihrer inzwischen dreijährigen Tochter zurück nach Halle, wo sie auf einem Fest Werner Kraus kennenlernte. Die Beziehung hielt zwei Jahre. Kraus gibt im Mai 2001 zu Protokoll:
Ich schätze, dass die Susanne von mir weg ist, weil wir uns auseinandergelebt hatten. Das hing mit den unterschiedlichen Arbeitszeiten zusammen. […] Wir haben dann keinen Sinn in der Beziehung gesehen, und sie ist ausgezogen. Das ist mir damals schwergefallen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich die Beziehung noch aufrechterhalten. Im Juli 1997, als sie ausgezogen ist, war sie gerade in der vierten oder fünften Woche schwanger. Das hat sie mir erst gesagt, als sie gegangen ist. Bei [diesem] letzten Gespräch habe ich erst erfahren, dass sie zu der Zeit, als sie bei mir gewohnt hat, eine weitere Beziehung zu einem anderen Mann gehabt hat.
Dieser Mann war Ahmet Yilmaz. Die beiden hatten sich im Juni 1996 in einer Diskothek in Hof kennengelernt und seitdem regelmäßig heimlich getroffen; Yilmaz, der damals noch bei seinen Eltern in Oberfranken wohnte, fuhr deswegen immer wieder nach Halle. Für Peggy, die Werner Kraus noch Jahre später Schulfreundinnen gegenüber als ihren »Wunschpapa« bezeichnete, muss die Trennung ein schwerer Schlag gewesen sein. Yilmaz indes zögerte, als er von Susannes Schwangerschaft erfuhr. Die Beziehung hatte sich von Anfang an als recht turbulent erwiesen, es gab jede Menge Streit, auf den aber immer wieder eine Versöhnung folgte. Erst, nachdem Jessica noch in Halle auf die Welt gekommen war, trafen die beiden die Entscheidung, in Lichtenberg einen gemeinsamen Neuanfang zu wagen.
Der Umzug erfolgte 1998, Ahmet Yilmaz sollte für Peggy von nun an der neue »Papa« sein. Eine Bezeichnung, die sie selbst nie verwendet haben soll, wenn sie von ihm sprach. Im Gegenteil. Susannes Mutter Renate gibt im Juli 2001 zu Protokoll: »Wenn die Peggy für einige Zeit bei uns im Urlaub war und sie sollte wieder nach Lichtenberg zurück, dann verkrampfte sie sich regelrecht, und die Unterkiefer zitterten. Sie sagte, sie will nicht zurück. Ihr normaler Ausspruch [für Ahmet Yilmaz] war: ›Der kotzt mich an.‹« Ob Peggy tatsächlich so über ihren Stiefvater dachte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ahmet Yilmaz betonte im Gespräch mit uns jedenfalls, er habe ein gutes Verhältnis zu ihr gehabt.
*
Im Herbst 1998 wurde Peggy in der Grundschule im benachbarten Bad Steben eingeschult. Während Mutter und Stiefvater
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