Der Fall Struensee
abgelehnt.“ Struensee zischte empört durch die Zähne. „Wenn du dich nicht in Sicherheit bringst, werden die Verschwörer Wege finden, dich zu beseitigen. Es sei denn …“ Falckenskiold brach ab und rieb sich das Kinn. „Was?“
„Du wirfst dich wirklich zu dem Despoten auf, für den sie dich halten: Zensur wieder einführen, die Schreiber der Pamphlete unnachgiebig bestrafen. Polizeiwachen und Militär verstärken.“
Als Falckenskiold gegangen war, blieb Struensee aufgewühlt zurück. In letzter Zeit musste er immer häufiger auf ein Beruhigungsmittel zurückgreifen, um schlafen zu können. Im September hatte er einen Reitunfall gehabt, bei dem er sich einen Arm und mehrere Rippen gebrochen hatte. Seitdem hatte er Schmerzen, die ihn besonders nachts plagten. Auch in dieser Nacht wälzte er sich unruhig im Schlaf und hatte bizarre Träume. Der Scharfrichter köpfte ihn und seinen Freund Graf Rantzau, setzte ihm selbst Rantzaus Kopf auf die Schultern und ging laut lachend mit seinem Kopf unter dem Arm davon. Graf Rantzau lief kopflos umher. Das Lachen ging ihm durch Mark und Bein. Mit einem Ruck richtete er sich im Bett auf und erinnerte sich augenblicklich, dass er vor ein paar Jahren eine Satire geschrieben hatte über vertauschte Köpfe.
Doch darin hatte er den Kopftausch als ein Universalmittel zur Heilung der Welt angesehen. Man glaubt nicht, hatte er geschrieben, was für große Vorteile das Volk aus diesem Handgriff zieht. Findet man Leute, die eine Gemütsart haben, die sich für ihren Beruf und Stand wenig eignet, so werden sie durch dieses Mittel auf einmal brauchbare Leute. Der Traum, dass er Rantzaus Kopf trug und der Henker den seinen mitnahm, schnürte ihm die Kehle zu. Er konnte nicht wieder einschlafen und versank in Erinnerungen.
Zu der Zeit, als er die Satire geschrieben hatte, wohnte er nicht mehr bei seinem Vater. Dieser war 1760 Generalsuperintendent von Schleswig und Holstein geworden und nach Rendsburg gezogen. Auf der Suche nach einer billigen Wohnung hatte Struensee im ersten Stockwerk eines Eckhauses an der Kleinen Papagoyenstraße eine Bleibe gefunden. In dieser Straße wohnten die Juden von Altona, aber das störte ihn nicht im Geringsten. Er wohnte dort mit einem Freund zusammen, mit David Panning, den er aus seiner Kindheit und von seinem Studium in Halle her kannte. Struensee hatte die schlecht bezahlte Stelle eines Stadtphysikus inne, aber sein Freund war von zuhause aus begütert und unterstützte ihn.
Er lernte in dieser Zeit viele interessante Persönlichkeiten kennen und lud sie an seine Tafel. Darunter befanden sich der jüdische Armenarzt Hartog Gerson, Seneca Otto von Falckenskiold und Enevold Brand. Wenig später machte er auch die Bekanntschaft des Grafen Schack Carl von Rantzau-Ascheberg. Graf Rantzau war 20 Jahre älter, wurde deshalb nicht nur sein Freund, sondern in gewisser Weise auch sein Lehrer. Er war der Besitzer von Gut Ascheberg, das achtzig Kilometer von Altona entfernt war. Die wirtschaftliche Basis des Gutes war die Leibeigenschaft, aber wie auf vielen Gütern in Holstein war die Brutalität geringer, der Umgang mit den Bauern humaner als sonst üblich.
Im Alter von fünfunddreißig Jahren war Rantzau zum Regimentschef im dänischen Heer ernannt worden. Davor hatte er im französischen Heer unter Marschall Loevendahl militärische Erfahrung gesammelt. Als er sich in eine italienische Sängerin verliebte, verließ er Frau und Tochter und begleitete die Sängerin durch die südlichen Teile Europas. Um sein Inkognito zu wahren, veränderte er ständig sein Äußeres, gelegentlich verkleidete er sich auch als Priester. Auf diese Weise konnte er mehrfach seinen Gläubigern entgehen. In Sizilien wurde er zweimal wegen Betrugs angeklagt, konnte jedoch, bevor man seiner habhaft werden konnte, in letzter Minute nach Neapel fliehen.
Ähnliche Vorfälle gab es in Genua und Pisa. Schließlich trennte er sich nach einem Eifersuchtskonflikt von der Sängerin und kehrte auf sein Gut zurück. Doch nicht für lange. Alsbald ging er nach Russland, um Zar Peter III. seine Dienste anzubieten. Da der Zar diese nicht zu würdigen verstand, verbündete er sich mit der Zarin und wurde Mitglied des Komplotts, das in Katharinas Auftrag den ungeliebten Gatten ermordete. Doch statt Dankbarkeit zu ernten, fiel er in Ungnade und kehrte verbittert auf seine hoch verschuldeten Güter zurück.
Das war die Zeit, als Struensee den Grafen kennenlernte. Es muss im Frühjahr 1759
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