Der Fall Struensee
gewesen sein, er war mit dem Aufbau einer Hebammenschule und der Pockenimpfung bei Säuglingen beschäftigt, als ihn ein Schreiben von Graf Rantzau erreichte. Darin schrieb er, dass seine Frau von Blindheit bedroht sei. Die Kuren heimischer wie ausländischer Ärzte hätten der Krankheit nicht beizukommen gewusst. Das Leiden habe sich sogar verschlechtert. Struensee machte sich also auf zum Gut Ascheberg. Ihm gingen unterwegs viele Gedanken durch den Kopf. Wurde nun über seine weitere Zukunft entschieden? Ihm war lange schon deutlich geworden, dass politische Macht nötig war, um das Gesundheits-und Hygieneprogramm verwirklichen zu können, das ihm vorschwebte. Würde er nun durch die Bekanntschaft mit dem Spross eines der ältesten holsteinischen Geschlechter in die Lage versetzt, Einfluss zu nehmen auf die große Politik?
Die Fahrt Richtung Wedel führte an Bächen entlang, die von Erlen gesäumt waren, Rebhühner schwirrten vor ihm auf, in der Ferne erblickte er Windmühlen. Eine Untersuchung der halb blinden Frau ergab, dass sie am grauen Star erkrankt war, einer Eintrübung der Linse. Es gab nur ein Mittel, nämlich eine Operation, bei der die getrübte Augenlinse entfernt wurde. Er hatte diesen Eingriff noch nicht allzu oft vorgenommen, und er wusste, dass ein Erfolg nicht immer garantiert war. Immerhin hatte er wesentlich mehr Wissen und Geschicklichkeit als die durchreisenden Marktschreier und Kurpfuscher, die keine anatomische Kenntnis des Auges besaßen.
Sie fügten dem Auge häufig nicht wieder gutzumachende Verletzungen zu und oft kam es zu gefährlichen, häufig auch tödlich verlaufenden Entzündungen. Er besprach das Für und Wider mit der Gräfin, auch mit dem Grafen und sie entschieden sich, die Operation zu wagen. Die Gräfin sagte: „Ich vertraue Ihnen Herr Doktor. Wir haben nur Gutes von Ihnen gehört.“ Er fühlte sich geschmeichelt und verbeugte sich galant. Er wusste, dass das Auge ein empfindliches Organ war, deshalb flößte er der Frau eine gut bemessene Dosierung Laudanum zur Betäubung ein. Dann legte er seine aus reinstem Silber bestehenden Instrumente zurecht.
Er träufelte der Patientin Belladonna ins Auge, das die Pupille weiten sollte. Dann wusch er sich sorgfältig die Hände, bat einen Diener, den Kopf der Gräfin gut festzuhalten, sie durfte sich nicht bewegen, und beugte sich über das Gesicht der Frau. Das Laudanum tat seine Wirkung, die Gräfin dämmerte vor sich hin. Mit einer etwas gekrümmten Nadel, deren Spitze einer Lanzette glich, durchstach er unter dem Regenbogen die Hornhaut und führte das Werkzeug durch die vordere Kammer, bis dessen Spitze über die Pupille zu sehen war.
Dann zog er sie wieder hinaus und erweiterte den Schnitt mit einer zweischneidigen Nadel. Man brauchte für diese Operation absolute Konzentration und eine vollkommen ruhige Hand. Mit einer speziellen Schere schnitt er in die Hornhaut, hob diese mit einem Spatel an, öffnete die darunter liegende Haut, worin die Linse befestigt war, nahm eine Pinzette, drückte sanft mit zwei Fingern auf den unteren Teil des Auges und zog die Linse heraus. Dieses Verfahren hatte er von einem Arzt namens Daviel übernommen. Die meisten anderen Starstecher drückten lediglich die Linse in den Glaskörper hinunter, von wo sie aber wieder nach oben wandern konnte.
Das Licht fiel sofort ohne Hindernis auf die Netzhaut – und die Gräfin konnte wieder sehen. Dankbar drückte sie die Hand Struensees, fiel dann jedoch infolge des Laudanums in tiefen Schlaf. Der Arzt verband ihre Augen, um diese ruhig zu stellen und vor Entzündungen zu schützen, damit eine dauerhafte Wirkung des Eingriffs erzielt werden konnte. Graf Rantzau, der der Prozedur beigewohnt hatte, bat den Arzt zum Abendessen zu bleiben. Bei mehreren Flaschen Wein am Kamin kamen sie sich rasch näher. Rantzau erzählte von seinen Abenteuern und scheute sich nicht, Struensee seine Betrügereien, Diebstähle und Spiele mit gezinkten Karten anzuvertrauen.
Seine Bekenntnisse trug er im Ton beschwingter Selbstbelustigung vor. Später erzählte Struensee von seiner Arbeit als Armenarzt und dem Elend der Landbevölkerung.
„Auf meinen Gütern geht es anders zu. Mein Vater hat vor über 10 Jahren die Leibeigenschaft abgeschafft, den Besitz parzelliert und untertänige Bauern zu seinen Partnern gemacht, immer getreu der Erkenntnis, dass einer nur dann fleißig arbeitet, wenn er auch einen Nutzen davon hat. Der Erfolg blieb nicht aus, unsere Bauern flüchten
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