Der Fall von Katara
Spezialeinsatzkräfte, die ihre Zielperson entwischen ließen. Nachdem der Oberdenker dieses Landes ihr diese Aufgabe höchstpersönlich anvertraut hatte, war es umso peinlicher, dass sie ihn jetzt enttäuschen und mit leeren Händen zu ihm zurückkommen musste. Es war nicht so, dass des Doktors Zorn fürchtete, aber sie respektierte seinen scharfen Verstand und seine Loyalität gegenüber Katara.
Frau Alonis marschierte durch den sterilen Gang. Verkrampft hielt sie die Akte „Misrati“ unter ihrem Oberarm eingeklemmt, während sie sich alle brauchbaren Theorien zurechtlegte. Mit versteinerter Miene blickte sie auf ihr Tele, um festzustellen, dass keine weiteren Informationen zu dem Fall aufgetaucht waren. Die Sekunden verstrichen. Sie blieb stehen und dachte nach. Sie hörte in der Stille des leeren Raumes ihr Herz schlagen. Noch nie hatte sie einen solchen Fehler begangen. Sie war so zwanghaft perfektionistisch veranlagt, dass sie kein Versagen duldete. Wie konnte sie jemals Kotan Hariri, diesem Schwachkopf, einen so speziellen Fall anvertrauen? Sie ärgerte sich mittlerweile darüber, dass sie Kotan Hariri als Geheimdienstchef eingestellt hatte.
Mit zitternden Händen zündete sie sich noch eine Gesundheitszigarette an, bevor sie in den Aufzug stieg, der unterhalb des Blumenladens installiert war. Sie wollte vorher noch eine Holografie von sich selbst erstellen. Sie drückte eine Taste ihres Geheim-Teles, bis ihr Ebenbild plötzlich wie eine Erscheinung neben ihr stand und all ihre Bewegung synchron mitmachte. Frau Alonis aktivierte die Einfrieroption, sodass das Double ruhig stehen blieb, und musterte sich streng von allen Seiten.
Sie war eine schlanke Frau mit schulterlangen roten Haaren, grünen Augen und einer hellen Haut. Die blaue Tätowierung verlief fast über das ganze Gesicht bis zu ihrem Hals herunter. Nur die Ohren waren ausgepaart und von ihrem dichten Haar vor der Sonne geschützt. Die Tätowierung bestand aus Hunderten feinen Linien, die sich verdrehten, verschnörkelten und Spiralen bildeten. Frau Alonis war komplett in weiß gekleidet. Sie hasste diese Farbe, weil sie dunkle Kleidung bevorzugte; jedoch konnte sie auf diese Weise ihre Arbeit von ihrer Freizeit gut trennen. Es hatte auch den Vorteil, dass man jeden Flecken darauf erkannte, sodass man das Pensum ihrer Arbeit, zum Beispiel nach einer längeren Befragung, perfekt darauf abgebildet sah. Frau Alonis hatte heute ein weißes Hemd aus Hanfseide, eine weiße Lederhanfhose und eine weiße Straßenhanfweste an, die weißer als jede andere Weste war. Die Kleidung war generell eng geschnitten und zeigte ihre weiblichen Reize. Sie war eine sehr schöne Frau und in der Männerwelt heißbegehrt. Ihre Himmelbeer-Lippen verzauberten jeden Mann mit nur einem einzigen Lächeln, und bis auf den unsichtbaren Totenkopfring, dessen Inhalt sie hoffentlich niemals zum Einsatz bringen musste, hatte sie keinen Schmuck am Körper, weil so etwas ihre faszinierende Anmut nur entstellt hätte. Mit ihren sechsundsechzig Terra-Jahren bzw. dreiunddreißig Tenemos-Jahren war sie unbeschreiblich gut in Form. Ihr Körper war von jahrelangem Kampftraining gestählt worden, ihr Geist war schärfer als Obsidian, und ihre Seele war für immer an Großmeister Don Kobayaschy vergeben. Nach ihm hatte sie - außer aus beruflichen Anlässen - keinen anderen Mann mehr angefasst.
Nachdem sich Frau Alonis für gut befunden und keinen äußeren Makel an sich festgestellt hatte, schaltete sie die Holografie ab und stieg in den Aufzug hinein. Während sie den Blick in die Ferne schweifen ließ, fuhr sie angespannt in den ersten Stock hinauf. Als sie sich in der Hauptzentrale der Denkfabrik befand, stolzierte sie den Korridor entlang und platzte in das Besprechungszimmer hinein, in dem sich die Damen und Herren der Sonderkommission schon eingefunden hatten.
Der Oberdenker Doktor Pomase war am Ende eines ovalen Tisches zu sehen, während zu seiner Rechten der Sicherheitschef des Blumenladens Kotan Hariri saß. Doktor Pomase war ein beleibter Mann und mindestens zweiundsechzig Tenemos-Jahre alt. Er hatte bläulich-schwarzes Haar und eine dünne, unscheinbare Brille auf einer kleinen Nase sitzen. Sein pausbackiges Gesicht hatte eine vornehme Blässe, wobei sein voluminöser Rumpf in einen braunen Anzug eingebettet war. Darunter trug er ein Hemd aus Kamelhaarseide. Seine Hose war aus einem feinen sandfarbenen Hanfstoff gewebt, und um seinen Bauch sah man eine Schärpe aus Samt, die
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