Der Fall
wir lieber an. Erzählen Sie mir genau, was passiert ist.«
Oscar Rafferty hatte sich den hohen Maroquinsessel an den französischen Schreibtisch (neunzehntes Jahrhundert) seines Partners gezogen und blätterte ruhig in den deutschen Verlagsrechten für Die Katze auf dem heißen Blechdach. Dazu war nur ein Anruf nötig gewesen. Das hieß, nicht ganz. Ein Anruf und ein kurzer Besuch in seinem Büro. Damit war das Geschäft perfekt. Von dem Augenblick an, in dem Rafferty die Welt des geistigen Eigentums betreten hatte, war ihm sehr deutlich bewusst gewesen, wie wichtig der Eindruck war, den man auf andere machte. Dem hatte er es maßgeblich zu verdanken, dass er es so weit gebracht hatte. Seien es nun die handgeknüpften Teppiche auf dem Fußboden oder das Calder-Mobile in einer Ecke des Raums, er war stets bemüht, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Und wenn er noch mehr Beweise dafür brauchte, wie gut sich diese Devise bezahlt machte, musste er nur einen Blick auf die trocknende Tinte auf dem Vertrag vor ihm werfen. Es hatte weniger als fünfundvierzig Minuten gedauert, um diese vier Millionen Dollar zu verdienen. Selbst an den Standards des Bankwesens gemessen, war das ein stattlicher Stundensatz.
Im Einklang mit seiner Devise hatte Rafferty immer drei Telefone auf seinem Schreibtisch stehen. Angesichts der technischen Möglichkeiten wäre es ein Leichtes gewesen, sie in einem einzigen Apparat zu vereinen, aber die optische Wirkung, die sie auf seine Kunden hatten, war ihm den Verlust an Schreibtischfläche wert. Als das mittlere Telefon läutete – sein Privatanschluss –, nahm er beim ersten Läuten ab. »Sie haben hoffentlich gute Nachrichten.«
»Ob es gute Nachrichten sind, weiß ich nicht, jedenfalls sind es Informationen«, sagte der Privatdetektiv am anderen Ende der Leitung. »Ihr Name ist Sara Tate. Sie ist zweiunddreißig Jahre alt, wurde in Manhattan geboren und ist dort auch aufgewachsen. Vor sechs Monaten wurde sie von ihrer alten Anwaltskanzlei entlassen, was einen herben Rückschlag für sie bedeutete. Jetzt hat sie gerade in der Staatsanwaltschaft angefangen. Laut Aussagen einiger ihrer alten Kollegen in der Anwaltskanzlei ist sie enorm aggressiv und direkt und reagiert sehr emotional. Ein Mitarbeiter bezeichnete sie als sprunghaft und unberechenbar, aber er meinte auch, sie wäre nicht auf den Kopf gefallen.«
»Was hat er sonst noch gesagt?«, fragte Rafferty auf der Suche nach Schwächen. »Wie ist sie vor Gericht?«
»Nur einer von ihnen hat sie selbst eine Verhandlung führen sehen. Er meinte, sie wirkt als Person sehr authentisch, was man heutzutage nur noch von den wenigsten Anwälten behaupten kann.«
»Glauben Sie, sie könnte gefährlich werden?«
»Jeder neue Ankläger kann gefährlich werden. Wenn es der erste Fall ist, legen sich alle mächtig ins Zeug. Was allerdings Sara Tate gefährlich macht, ist, dass sie sich nicht nur profilieren will – angesichts der jüngsten Budgetkürzungen geht es bei ihr auch darum, ob sie ihre Stelle behalten kann, und das heißt, sie wird mit allen Mitteln zu gewinnen versuchen.«
»Das hat Victor auch gesagt.«
»Er muss es ja wissen.«
Rafferty überlegte. »Wissen wir, warum sie gefeuert wurde?«
»Noch nicht, aber das kann ich noch herausbekommen. Ich schätze, sie hat sich mit jemandem angelegt, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Es wollte sich zwar niemand näher dazu äußern, aber es war herauszuhören. Wenn man Druck auf sie ausübt, reagiert sie mit Gegendruck – und zwar ganz massiv.«
»Was haben Sie über ihre Familie?«
»Mittelschicht. Vater Vertreter, Mutter Anwaltsgehilfin. Beide stammen aus kleinen Verhältnissen, obwohl man nicht darauf käme, wenn man Sara sieht. Sie sind schon vor mehreren Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, aber laut Aussagen ihrer alten Kollegen ist das immer noch ein wunder Punkt für sie.«
»Gut. Das wäre schon mal ein Ansatzpunkt. Sonst irgendwelche Verwandte?«
»Sie hat einen Großvater und einen Ehemann.«
»Erzählen Sie mir etwas über den Ehemann.«
»Er heißt Jared Lynch. Stammt aus einer wohlhabenden Vorortsiedlung Chicagos, hat aber hart für seinen Erfolg gearbeitet. Vater pensionierter Börsenmakler; Mutter spielt immer noch Hausfrau. Er hat zwei jüngere Brüder, leben beide in Chicago. Was das Finanzielle angeht, haben Sara und Jared von Jareds Familie einen kleinen Investmentfonds angelegt bekommen, aber was ihre frei verfügbaren Geldmittel angeht,
Weitere Kostenlose Bücher