Der Fall
nicht konnte. Wenn Jared ihrem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Organisation entgegenkam, kam sie seinem Bedürfnis nach Unberechenbarkeit und Spontaneität entgegen.
Allmählich begann Jared sich zu beruhigen. Das heißt, bis er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
»Könnte ich Sie bitte kurz unter vier Augen sprechen?«, fragte Thomas Wayne und deutete auf sein Büro. Thomas Wayne war einer der beiden Gründer von Wayne & Portnoy, und es kam sehr selten vor, dass jemand, der noch nicht Partner war, allein zu einer Besprechung mit ihm gerufen wurde. Mit seinen eins achtundachtzig überragte Wayne die meisten seiner Angestellten deutlich, weshalb sich hartnäckig das Gerücht hielt, bei Wayne & Portnoy bekomme niemand eine Anstellung, der größer sei als Mr. Wayne. Natürlich traf das Gerücht nicht zu, aber Wayne gefiel der geheimnisvolle Nimbus, mit dem es ihn umgab, und er unternahm deshalb auch nichts, es zum Verstummen zu bringen. In Waynes Augen waren es Gerüchte wie dieses, die Legenden entstehen ließen – und wenn Thomas Wayne ein Ziel hatte, dann das, eine Legende zu werden.
»Wie ich höre, haben Sie einen schweren Tag hinter sich«, sagte Wayne, als er die Tür seines Büros schloss.
»Es war sicher nicht mein bester«, antwortete Jared.
»Das mag durchaus sein.« Wayne nahm hinter seinem großen, aber ansonsten unprätentiösen Nussbaumschreibtisch Platz. »Aber es waren nicht Tage wie dieser, die diese Kanzlei zu dem gemacht haben, was sie ist. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, Jared, zu dem, was sie ist, wurde diese Kanzlei durch Männer, die die Ärmel hochgekrempelt und fest zugepackt –«
»Mir ist durchaus klar, was Sie sagen wollen, Sir«, unterbrach Jared seinen Chef. »Aber ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein – Rose Microsystems mag vielleicht eine beträchtliche Summe bezahlt haben, aber ich bin der festen Überzeugung, wir haben ihnen eine wesentlich unangenehmere Alternative erspart. Sosehr sie auch toben und schimpfen mögen, stehe ich zu meiner Arbeit und ihrem Ergebnis.«
»Jared, haben Sie schon mal etwas von Percy Foreman gehört?«
»Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht, wer –«
»Percy Foreman hat James Earl Ray verteidigt, den Mann, der Martin Luther King jr. ermordet hat. Und einmal abgesehen davon, wie Sie die Sache unter ethischen Gesichtspunkten sehen, war Percy einer der besten Verteidiger aller Zeiten. Irgendwann im Lauf seiner Karriere verteidigte er eine wohlhabende Dame der feinen Gesellschaft, die des Mordes an ihrem Mann beschuldigt wurde. Percy verlangte fünf Millionen Dollar dafür, den Fall zu übernehmen. Fünf Millionen. Selbst an heutigen Honoraren gemessen ist das unverschämt. Aber die Frau zahlte, und Percy übernahm den Fall. Beim Prozess unterlief er mit immer neuen Finten und Winkelzügen die Beweisführung der Anklage. Und am Ende schaffte er es, dass seine Mandantin für nicht schuldig befunden wurde. Aber die Presse – sie konnten einfach nicht fassen, dass er von dieser Frau dieses exorbitante Honorar verlangt hatte. Als die Journalisten Percy also auf der Treppe vor dem Gerichtsgebäude abfingen, wollten sie von ihm wissen, warum er fünf Millionen Dollar verlangt hätte, worauf Percy, ohne mit der Wimper zu zucken, in die Menge blickte und sagte, er habe diese Summe verlangt, weil sie nicht mehr hatte.«
Wayne sah Jared unverwandt an. »Und genau so stelle ich mir einen Anwalt vor, der hier arbeitet. Wenn ein Anwalt clever ist, wunderbar; wenn er ehrlich ist, wunderbar; wenn er aggressiv ist, ebenfalls wunderbar. Aber die wichtigste Eigenschaft, um wirklich gute Aufträge an Land zu ziehen, ist absolutes Vertrauen auf die eigene Fähigkeit, einen Prozess zu gewinnen. Mandanten laufen dem Erfolg hinterher – wenn sie das Selbstvertrauen an Ihnen riechen können, werden sie auch Vertrauen in Sie haben. Und wenn sie dieses Vertrauen haben, werden sie Ihnen immer vertrauen und Ihre Entscheidungen nie anfechten.
Und genau das war heute Nachmittag das Problem mit Ihnen, Jared«, fuhr Wayne fort. »Hätte Rose totales Vertrauen in Sie, hätte er diesen Scheck mit einem Lächeln ausgestellt. Stattdessen droht er jetzt, uns zu verlassen, und das bei einer jährlichen Auftragssumme in Höhe von drei Millionen Dollar. Wenn Sie allerdings neue Mandanten akquirieren könnten, träfe es uns nicht so hart, dass uns das Geschäft mit Rose entgeht.
Aber wenn ich mir Ihre Unterlagen ansehe, scheint es, dass die
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