Der Fall
geschafft. Dieser Typ aus Brooklyn, Andrew, hat voll danebengelangt. Jede Wette, dass es ihn als Ersten erwischt! Es heißt, heute wird entschieden, wer alles entlassen wird.«
Angesichts dieser Neuigkeit zog Sara eine Augenbraue hoch. »Entschuldigen Sie, ich habe leider Ihren Namen vergessen«, sprach sie den Mann an.
»Charles, aber alle nennen mich Chuck.«
»Charles, Chuck, wie auch immer – könnten Sie mir einen kleinen Gefallen tun? Sprechen Sie nicht mehr mit mir.«
Die Grand Jury wurde einmal im Monat nach einem Modus ausgewählt, den Guff als eine »Strafrechtsversion von Bingo« bezeichnete. Im Gegensatz zu einem normalen Schwurgericht, das nur in einem einzigen Fall einen Schuldspruch zu fallen hatte, hörte die Grand Jury an einem Tag normalerweise Dutzende von Fällen an und entschied nur, ob berechtigte Gründe bestanden, dass die Staatsanwaltschaft den Fall weiterverfolgte. Da die Geschworenen einen ganzen Monat im Amt waren, bedeutete der erste Montag im Monat in der Regel eine neue Grand Jury – und war deshalb der schlechteste Tag, um einen Fall vorzustellen. Zu Beginn ihrer Amtsperiode waren die Geschworenen vorsichtige Neulinge, die peinlich darauf bedacht waren, keinen Falschen den Mühlen der Justiz zu überantworten. Am Ende waren sie abgebrühte alte Hasen, denen sehr deutlich bewusst war, dass es nur der erste Schritt des Verfahrens war, wenn man über die Zulässigkeit einer Anklage entschied. Am Anfang waren sie nette Menschen, die versuchten, das Richtige zu tun. Am Ende waren sie typische New Yorker, bereit, von jedem das Schlechteste anzunehmen.
Weitere zwanzig Minuten vergingen, bis Sara vom Ende des Gangs Guffs Stimme hörte: »Sehen Sie, wen ich getroffen habe.« Als sie sich umdrehte, sah sie Guff ein Metallwägelchen mit ihren gesamten Prozessunterlagen vor sich herschieben – sie hatte sich fest vorgenommen, auf alles vorbereitet zu sein. Er wurde gefolgt von Officer McCabe, Claire Doniger und Patty Harrison. McCabe wirkte gelassen, Claire Doniger verärgert und Patty Harrison verängstigt. Sara ging auf ihre Zeugen zu. »Ich hoffe, Sie verstehen, warum wir –«
»Behandeln Sie mich gefälligst nicht wie ein kleines Kind«, schimpfte Ms. Doniger. Ihre gefärbte Haarpracht wippte auf und ab, als verfügte sie über ein Eigenleben. Mit ihrem Adolfo-Kostüm, der chemischen Bräune, dem offensichtlichen Facelifting und der winzigen Handtasche sah die vierundfünfzigjährige Ms. Doniger genauso aus, wie Sara sie sich vorgestellt hatte. Als sie ohne ein weiteres Wort an ihr vorbeiging, wurde Sara klar, dass ihre Unterhaltung damit beendet war.
Sie wandte sich Ms. Harrison zu und berührte sie leicht an der Schulter. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, sagte Ms. Harrison wenig überzeugend.
»Soll ich Ihnen sagen, wer Ihnen gedroht hat?«
»Mir hat niemand gedroht.« Ms. Harrison hatte ihr pechschwarzes Haar nach hinten frisiert und mit einer schwarzen Samtschleife zusammengebunden. Ihre eisblauen Augen zuckten beim Sprechen bald hierhin, bald dorthin. »Aber eines sage ich Ihnen: Ich lasse mich in der Nachbarschaft nicht zum Paria abstempeln.«
»Wer vermittelt Ihnen das Gefühl, ein Paria zu sein, Ms. Doniger? Kozlow?«
»Ich weiß doch nicht mal, wer dieser Kozlow ist. Ich habe ihn damals aus Claires Haus kommen sehen. Er machte einen zwielichtigen Eindruck, und deshalb rief ich bei der Polizei an. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Mehr sollen Sie auch nicht sagen. Erzählen Sie einfach nur, was Sie gesehen haben.«
Ms. Harrison wandte sich ab. »Nein. Das werde ich nicht tun.«
»Es ist Ihre Pflicht, das zu tun.«
»Ich bin niemandem außer mir zu irgendetwas verpflichtet. Mein Mann hat mich vor acht Jahren wegen seiner hochtoupierten Sekretärin verlassen; meine Tochter ist nach San Francisco gezogen, und ich höre nichts mehr von ihr; und das höchste der Gefühle ist für mich im Moment ein kleiner Flirt mit dem Fleischwarenverkäufer an der Deli-Theke des Supermarkts. Es mag banal sein, aber es ist mein Leben und ich habe Spaß daran. Und das gebe ich nicht wegen irgendeines verquasten Pflichtgefühls auf.« Als Ms. Harrison merkte, dass einige der anderen Leute im Gang sie ansahen, wandte sie sich ihnen zu und schrie: »Kümmert euch doch um euren eigenen Kram, ihr neugierigen Trottel.«
Um Ms. Harrison Zeit zu lassen, sich zu beruhigen, wartete Sara einen Moment, bevor sie sagte: »Sie haben völlig recht. Es geht um Ihren Kopf und Kragen, nicht um meinen.
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