Der falsche Apostel
wissen, was geschehen
ist.«
»Tun wir das? Wenn wir schon davon sprechen, wer sich von diesem jungen Mädchen angezogen fühlte, gehörte Bruder Finnlug auch
dazu?«
»Finnlug?« Bruder Adag verzog abschätzig das Gesicht. »Er hat nichts für Frauen übrig.«
Pater Febal sah gequält aus. »Bruder Finnlug hat viele Fehler. Frauen gehören nicht dazu.«
»Fehler?«, drängte Fidelma interessiert. »Was hat er denn für Fehler?«
»Ach, wenn er nur die Gabe der Spiritualität besäße, wir wären entschädigt. Er ist lediglich durch seine Fähigkeit, zu jagen
und Speisen für unseren Tisch herbeizuschaffen, von Nutzen |482| für uns. Er ist für das religiöse Leben nicht geeignet. Ich glaube, wir haben jetzt genug gesagt. Lasst uns diese unglückliche
Angelegenheit abschließen, bevor noch Dinge ausgesprochen werden, die wir später bereuen müssten.«
»Wir werden die Angelegenheit erst abschließen, wenn wir die Wahrheit herausgefunden haben«, antwortete Fidelma standhaft.
»Die Wahrheit sollte man niemals bereuen.« Sie fragte Bruder Adag: »Ich weiß, du mochtest Téite. Aber nun ist sie tot, sie
ist ermordet worden. Pater Febals Regel gilt jetzt nicht mehr. Du schuldest es deinen Gefühlen für sie, uns die Wahrheit zu
sagen.«
Der Junge streckte das Kinn vor.
»Ich sage die Wahrheit.«
»Natürlich tust du das. Du sagst, dass Pater Ibor Téite nicht mochte?«
»Er liebte sie nicht so wie ich.«
»Und was hat Téite für Ibor empfunden?«
»Sie war von Pater Ibors Schläue geblendet. Sie dachte, sie liebte ihn. Ich habe die beiden gehört. Er sagte, sie solle aufhören,
ihn zu … belästigen, das war das Wort … aufhören, ihn zu belästigen. Sie dachte, sie liebte ihn, so wie Pater Febal dachte,
er liebte sie.«
Der Priester stand ärgerlich auf.
»Was redest du da, Junge?«, polterte er. »Du bist verrückt!«
»Du kannst nicht leugnen, dass du ihr gesagt hast, du liebtest sie«, antwortete Bruder Adag, von dem Aufbrausen des Priesters
nicht eingeschüchtert. »Ich habe dich mit ihr streiten hören, am Tag vor Pater Ibors Tod.«
Pater Febals Augen wurden schmal. »Ach, jetzt bist du nicht so dumm, dass du Zeiten und Orte und Ereignisse vergisst. Dem
Jungen kann man nicht vertrauen, Schwester. Ich würde seine Aussage nicht beachten.«
|483| »Ich habe Téite geliebt, und man kann mir vertrauen!«, rief Bruder Adag.
»Ich habe sie nicht geliebt …«, beharrte Pater Febal. »Ich liebe niemanden.«
»Ein Priester sollte seine ganze Herde lieben.« Fidelma lächelte tadelnd.
»Ich meine die zügellose Liebe zu Frauen. Ich habe mich lediglich um Téite gekümmert, nachdem ihre Mutter gestorben war. Ohne
mich hätte sie nicht überlebt.«
»Aber du dachtest vielleicht, dass sie dir etwas schuldete?«
Pater Febal sah sie fragend an.
»Wir sind nicht hier, um über Téite zu sprechen, sondern über Pater Ibors Verbrechen.«
»Sein Verbrechen? Nein, ich glaube, wir sind hier, um über ein Unrecht zu sprechen, das ihm angetan wurde, nicht eines, das
er verübt hat.«
Pater Febal wurde blass.
»Was meinst du?«
»Téite wurde ermordet. Aber sie wurde nicht von Pater Ibor ermordet. Und sie hat auch nicht das Kruzifix oder den Kelch gestohlen,
selbst wenn der Letztere bequemerweise neben ihrer Leiche gefunden wurde.«
»Wie kommst du darauf?«
»Schicke nach Bruder Finnlug. Dann können wir alle über die Lösung dieser Angelegenheit sprechen.«
Sie saßen ihr in der kleinen Sakristei gegenüber: Pater Febal, Bruder Finnlug und Bruder Adag. Ihre Gesichter drückten Neugierde
aus.
»Die Menschen benehmen sich schon seltsam«, fing Fidelma an. »Selbst in den besten Zeiten kann ihr Verhalten merkwürdig |484| sein. Aber ich bezweifle, dass sie sich auf die Weise verhalten würden, die mir hier präsentiert wird.«
Sie lächelte, während sie einen nach dem anderen anblickte.
»Was ist deine Lösung dieses Rätsels?«, fragte der Priester höhnisch.
»Jedenfalls nicht eine Lösung, bei der das Mordopfer lebendig und gesund herumläuft, nachdem sich der Mörder erhängt hat.«
Pater Febal blinzelte. »Adag muss sich irren.«
»Nein. Pater Ibor, das Kruzifix und der Kelch verschwanden vorgestern? Du schlugst sofort Alarm. Bruder Finnlug verfolgte
Ibor in den Wald und ihr fandet ihn, an einem Baum hängend. Stimmt das nicht?«
»Es stimmt durchaus.«
»Hätte er Téite getötet, bevor er sich erhängte, wie jetzt behauptet wird, dann hätte sie nicht
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