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Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Titel: Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Merten
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wir“, sagte der zweite Silberahorn.
    So ein Unsinn, dachte Kwin. Niemand verdient den Tod. Und doch hatte er schon getötet. Viele Leben genommen und es wurden mehr, je länger er darüber nachdachte. Angefangen bei den Bäumen, die er um seines Handwerks Willen gefällt hatte, über die Nat Chatkas, die seine Heimat angegriffen hatten, bis hin zu den ungezählten Liks, den kleinen Waldgeistern, die ihn und seine Gefährten überfallen hatten. Doch niemand von diesen Wesen hatte den Tod verdient. Verwirrt sah er auf und betrachtete Eichenherz stumm. Kwin erinnerte sich an die langen Gespräche.
    Alle Fragen, die man ihm bei dieser Prüfung gestellt hatte, folgten drei wesentlichen Überlegungen, die im Leben jeder Rasse eine besondere Bedeutung besaßen: Leben, Tod und Liebe. Zum ersten Mal aber sah Kwin sich außerstande, auch nur einen Gedanken zu fassen, der ihn auf die richtige Spur gebracht hätte.
    Wenn niemand den Tod verdient, so überlegte er, wer verdiente sich dann das Leben? Wer entschied überhaupt über Leben und Tod und Liebe? Gab es eine lenkende Macht hinter allen Handlungen aller Lebewesen? Für Alep mochte es die Magie sein. Für Prak sicherlich der Krieg und damit Ruhm und Ehre. Für Großvater Elders und seinen Sohn Velde mochte es das Wetter in Hinblick auf eine ertragreiche Ernte gewesen sein und für ihn selbst ohne Zweifel die Gesetzte des wahren Handwerks. Jeder war Gesetzen und Regeln unterworfen, denen man sich unterzuordnen hatte. Aber Kwin war damit nicht zufrieden. Rebellen gab es zu allen Zeiten und überall. Er selbst war in gewisser Weise einer. Doch bedeutete Auflehnung nicht gleichzeitig seinen Tod! Es war vielmehr ein beständiges Wachsen, ein Prozess, der ihn sein Leben lang begleitete. Und so sagte er, stockend und unsicher: „Ignoranz, die gegen besseres Wissen steht, verdient den Tod. Doch ist er Tod endgültig und so verdient niemand den Tod.“
    „Wer erwählt den Auserwählten?“, fragte Eichenherz.
    „Sprich, und du bist frei. Schweige oder fehle und du wirst wie wir“, sagte der zweite Silberahorn.
    Kwin stand schon lange nicht mehr auf dem Waldweg. Längst hatte er sich hingesetzt und die Stirn auf die angewinkelten Knie gelegt. Aus einer lang gefühlten Ahnung war nun eine tiefe Gewissheit geworden. Er musste sich der Prophezeiung nicht beugen, denn der Auserwählte war das Zentrum der künftigen Ereignisse und sein Tod konnte ihn allzeit ereilen. So gesehen mochte die Bereitschaft, das eigene Leben aufs Spiel zu setzten, die Auswahl treffen. Aber das war töricht und er wusste es. Jahrhunderte vor seiner Geburt war seine Bestimmung von anderen beschlossen worden.
    „Niemand wählt den Auserwählten“, antwortete Kwin bedächtig. „Ich entscheide frei, ob ich die Prophezeiung erfüllen will.
    „Wer ist der Auserwählte?“, fragte Eichenherz. Seine Stimme drang leise zu Kwin herunter.
    „Dies ist die letzte Frage. Sprich, und du bist frei. Schweige oder fehle und du wirst wie wir.“
    Kwin hatte geahnt, dass diese Frage ihn am Ende der Prüfung erwarten würde und hatte doch gehofft, sich ihr nicht stellen zu müssen. Es war wohl die wichtigste Entscheidung seines Lebens, das hatten alle vorangegangenen Fragen ihm mehr als deutlich gemacht. Sollte er sich nun gegen seine Bestimmung stellen, dann gab es niemanden mehr, der Pretorius aufhalten konnte. Ruhig hob Kwin seinen Kopf, presste beide Hände fest auf den staubigen Weg und stand langsam auf.
    „Ich bin der Auserwählte!“, sagte er mit beherrschter Stimme.
    „Der Erwählte ist gefunden und bestätigt. Die Weissagung erfüllt sich“, erklärte Eichenherz mit getragener Stimme. „Kehre um, Kwin Bohnthal und schreite den Weg des Gleichen Klangs zurück. Dann verlasse den Nachtwald und das Talikon und erfülle die Prophezeiung.“
    Die Bäume um ihn her drehten sich in einer sanften Kreisbewegung, die das ganze Spalier mit einschloss, und Kwin fand sich am Anfang der Baumreihe wieder. Hinter ihm begann der Nachtwald.
    „Nur zu“, forderte Eichenherz. „Lerne von uns, wie wir von dir.“
    Langsam und am Ende seiner Kräfte marschierte Kwin Schritt für Schritt den Weg zurück, den er sich zuvor so mühsam erkämpft hatte. Gleich hinter Eichenherz tauchten rechts und links je eine Eibe auf. Kwin blieb nicht stehen, aber er hörte die knarrenden Worte der Bäume.
    „Übe dich in Geduld, oder du wirst untergehen.“
    „Vergiss nicht die Gabe, die zu geben dir wir allzeit bereit sind.“
    Und so ging

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