Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
nicht blind.“
„He, Kwin“, rief Bak, der den Kopf zur Tür herausstreckte, „wo steckst du? Ah, da bist du ja. Das ist gute Tischlerarbeit da drinnen. Auch dein Flötenspiel ist besser geworden. Aber ich frage mich, ob du auch im Bogenschießen dazugelernt hast?“
„Warte, bis wir im Herbst beim Pflückfest gegeneinander antreten werden. Diesmal musst du mich besiegen und nicht den alten Polz, um deinen Titel vom letzten Jahr zu verteidigen. Wir wollen sehen, ob dir auch das gelingt.“
„Fein“, erklärte Bak mit einem Grinsen. „Ich freue mich schon darauf, dir den zweiten Preis zu überlassen. Das heißt, wenn du gegen Polz bestehst.“
„Müh dich nicht, Bak. So kriegst du mich nicht. Wird Alep wieder im Stockkampf antreten?“
„Ich denke schon. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, besser als Vater zu sein. Wenigstens einmal möchte er den Wettbewerb gewinnen. In den vergangenen beiden Jahren ist er jedes Mal von Vater verprügelt worden. Aber er will nicht aufgeben. Seit zwei Monaten trainiert er mit Großvater hinter der Scheune. Großvater sagt, dass Alep in diesem Herbst gewinnen wird, weil er ihn unterrichtet. Die beiden haben eine richtige Verschwörung angezettelt. Vater sieht es mit Gelassenheit. Niemand glaubt so recht daran, dass Alep gegen ihn gewinnen kann. Außer Rina natürlich. Aber sie gibt es nicht offen zu, weil sie Vater nicht verletzen möchte. Alep steckt voller seltsamer Einfälle. Er wird es noch soweit treiben, dass die Familie sich wegen dieses unwichtigen Wettbewerbs für den einen oder den anderen entscheiden muss.“
„Für Alep ist dieser Wettbewerb wichtig“, erklärte Oma Elders tadelnd. „Er hat für ihn mehr Bedeutung, als wir alle ahnen. Es wird diesmal das dritte Mal sein, dass er sich dem Meister der letzten elf Jahre entgegenstellt. Der Junge hat Mut und Ausdauer, und dafür bewundere ich ihn. Auch wenn er dabei seinem Vater gegenüberstehen wird.“
„Du also auch“, sagte Bak resigniert. Dann wandte er sich mit seinem üblichen Grinsen an Kwin. „Das habe ich gemeint. Unsere Familie hat zu viele Helden und langsam zeigt sich, wer zu welchem Lager gehört.“
„Warten wir ab, wie es ausgeht“, sagte Kwin, „vielleicht gewinnt Alep wirklich in diesem Jahr gegen Velde. Das würde mir gefallen. Besonders deshalb, weil ich auch dich besiegen werde. Dann hätten wir im Flachen Land zwei neue Meister.“
„Ist eigentlich etwas dran, an dem, was man über dich erzählt? Willst du wirklich heiraten?“, fragte Bak verschwörerisch.
Kwin verdrehte bloß die Augen zum Himmel und stöhnte herzerweichend. Natürlich wollte er nicht heiraten. Oder doch? Insgeheim fieberte er dem Ende des Herbstes entgegen. Manchmal wünschte er nichts sehnlicher, als Lisett wiederzusehen.
Der Frühling ging dahin, und ein heißer Sommer folgte. Kwin war nun im zweiten Jahr seiner Lehrzeit. Nachdem er in den ersten Monaten des Jahres mit groben Werkstücken aus der Möbelherstellung und im Zimmerbau gearbeitet hatte, war er über den Sommer zu feineren Arbeiten übergegangen. Er arbeitete mit verschiedenen Holzarten gleichzeitig und lernte die Einzelteile mit Leim, Nuten oder Zapfentechniken zu verbinden.
Als der Herbst näher rückte und mit ihm das Pflückfest, nutzte Kwin seine freie Zeit mit Schießübungen. Er hatte hinter der Werkstatt eine aus Hanf geflochtene, mit Leder verstärkte Zielscheibe aufgestellt. Das Bogenschießen hatte er nicht verlernt! Trotzdem war seine Trefferrate geringer, als ihm lieb war. Fichtenholz war denkbar ungeeignet für die Herstellung eines Bogens, das wusste er nun. Wollte er beim Wettkampf erfolgreich sein, musste er einen neuen bauen. Einen Bogen aus lebendigem Holz. Zuerst aber galt es, Borkens Erlaubnis einzuholen, bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte.
Einen halben Tag lang brüteten Kwin und Meister Borken über Zeichnungen und Plänen. Einen weiteren halben Tag brauchte Kwin für die Auswahl des richtigen Holzes. Er wollte ein Holz, das hart federte. Schließlich stimmte er mit Borken überein, der von Anfang an für die Verwendung von Eibenholz eingetreten war. Der Bogen sollte etwa um die Hälfte größer und deutlich stärker als der alte werden, um auch über größere Entfernungen noch eine annehmbare Treffsicherheit und Durchschlagskraft zu erreichen.
„Wo finde ich Eibenholz?“, fragte Kwin. „Im Spahnwald stehen keine Eibenbäume.“
„Im Ginsterhain wachsen Eiben. Aber es hat wenig Sinn, eine zu
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