Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
schlagen.“
Kwin sah seinen Meister fragend an. Dann erkannte er seinen Fehler. Um einen dauerhaften Bogen herzustellen, musste das Holz erst gänzlich austrocknen. Dafür wurde es nach dem Schlagen und Sägen bis zu fünf Jahren gelagert.
„Fünf Jahre! Ich brauche es bis übermorgen.“ Dann wandte er sich mit einem schlauen Grinsen an seinen Meister. „Aber Ihr habt sicher irgendwo noch trockenes, belebtes Eibenholz, das ich verwenden kann.“ Kwin wusste, dass es so war. Schließlich kannte er sich im angrenzenden Holzlager ebenso gut aus wie sein Meister. Aber bei Borken war es besser, nicht zu fordern, sondern zu fragen.
„Ja. Habe ich. Aber geradegewachsenes Eibenholz ist selten.“ Meister Borken ahmte Kwins Grinsen nach. „Ich mache dir einen Vorschlag. Geh noch vor Beginn des Festes in den Ginsterhain und schlage eine Eibe für mich. Dafür gebe ich dir sofort einen Stab getrocknetes, lebendiges Eibenholz.“
Kwin dachte nicht lange nach. Es war ein guter Tausch, auch wenn er sich vor den Schmerzen fürchtete, die das Schlagen der Eibe ihm bereiten würde. Also nickte er entschlossen: „Einverstanden.“
Kwin begann am Nachmittag mit der Herstellung des Bogens und arbeitete ohne Unterbrechung. Es war die gleiche Besessenheit, die ihn auch schon bei der Schaffung des Eschenstabes gepackt hatte. Er vergaß die Zeit.
Der Stab aus belebtem Eibenholz überragte Kwin um Kopfeslänge, und er beschloss, einen Langbogen daraus zu fertigen. Er spannte den Stab in die Werkbank und ließ in seinem Geist die Vision des vollendeten Bogens entstehen. Während seine geschickten Hände den Stab langsam in einen wunderbaren Bogen verwandelten, wurde Kwin nicht müde, Geschichten aus dem Flachen Land zu erzählen und Lieder zu singen. Er erzählte von der Biegsamkeit des Schilfes im Wind und von der Macht der Stürme. Er sprach von der Unbeugsamkeit wildlebender Tiere und der Geschmeidigkeit dünnen Stahls. Er erfand Geschichten von Händlern, Soldaten und einem alten Waffenmeister des Königs. Dabei achtete er weniger auf das, was er erzählte, solange es nur einen Bezug zu den gewünschten Eigenschaften besaß. Wichtig war vor allem anderen das Bild des fertigen Bogens, der in seiner Vorstellung bereits vollendet war. Darum kreisten letztendlich all seine Geschichten. Mit den Stunden spürte er, dass sein Mund trocken wurde und seine Stimme immer rauer klang. Der Holzstaub und die kleineren Späne fanden ihren Weg in seine Kehle und erschwerten das Sprechen und Atmen. Doch von all dem ließ Kwin sich nicht beeindrucken. Unbeirrt arbeitete er weiter.
Weit nach Mitternacht nahm er den vollendeten Bogen auf und prüfte ihn ein letztes Mal. Kwin war sehr zufrieden. Das fertige Werkstück schmiegte sich warm und glatt in seine Hand. Der Sehnenzug war leicht und der Bogen wog weniger schwer als die alte Waffe aus Kiefernholz, obwohl sie fast um die Hälfte länger war. Und dann bedankte er sich in der Sprache des wahren Handwerks für das wertvolle Geschenk, das ihm vom Eibenstab gegeben worden war. Das Holz pulsierte kräftig in seinen Händen.
Jetzt erst war seine Arbeit vollendet. Er nahm den Bogen, wickelte ihn in dunkles Tuch und verstaute ihn sorgfältig in einem Regal. Als die Morgendämmerung anbrach, ging er müde zu Bett.
Nur wenige Stunden zuvor war der Golem Knoll vor Aleps Zimmerfenster erschienen und hatte Alep offenbart, dass er der Auserwählte sei. Während Kwin sein Werk vollendete, stapfte Alep in seinem Zimmer von Wand zu Wand und fragte sich, was er nun tun sollte. Als Kwin erschöpft einschlief, lag Alep auf seinem Bett und starrte zur Decke hinauf.
Kwin erwachte am späten Vormittag. Nach einem reichhaltigen Frühstück, das Frau Wundel ihm vorsetzte, lief er in Borkens Werkstatt und ließ seinen Meister das neugeschaffene Werkstück begutachten. Meister Borken prüfte den Bogen lange. Seine Augen glänzten vor Stolz, als er die Waffe seinem Schüler zurückgab. „Gute Arbeit, Kwin. Noch ein Weilchen und wir können uns über dein Gesellenstück unterhalten. Aber zuerst gehst du in den Ginsterhain und schlägst mir eine Eibe.“
Kwin war froh über das Lob.
Tags darauf machte er sich früh am Morgen auf dem Pferd seines Vaters und mit Twist an seiner Seite auf den Weg zum Ginsterhain. Zur gleichen Zeit fand Alep seine Stiefel in der Schublade der Kommode.
Über die Hügel und die abgeernteten Felder, durch kleine Waldinseln hindurch, die sich langsam herbstlich färbten, und über
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