Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Spahnwald. „So gesehen gibt es doch eine Antwort: Ich weiß nicht, ob ich je wieder eine Axt in einen Baum schlagen kann!“
Eine Weile schwiegen beide.
„Du hast mehr gelernt, als ich zu hoffen wagte. Sehr viel mehr. Verstehst du nun, was ich mit dem wahren Handwerk gemeint habe?“
Kwin nickte. „Ja.“
„Dann lass uns deine Ausbildung zu Ende bringen.“ Borken klatschte in die Hände, dass Twist erschreckt zusammenzuckte.
Kwin dachte zurück an seine Tage im Wald. Dann breitete sich ein breites Lächeln über sein Gesicht. „Es gibt wohl keinen geschwätzigeren Baum als die Linde.“
Damit war das Eis zwischen Meister und Schüler gebrochen. Auch Borken grinste nun. „Ja“, bestätigte er erleichtert. „Und kein Baum erzählt seine Geschichte so langweilig wie die Buche.“
Kwin griff in seinen Leinenbeutel und zog eine kleine Holzfigur hervor. Es war ein Mann, der eine Axt über der Schulter trug.
„Ja“, sagte Borken mit ernster Stimme, als er die kleine Figur in den Händen drehte und betrachtete, „du hast wirklich viel gelernt.“
Ein weiteres Jahr verging und Kwin sog das Wissen, das sein Meister ihm offenbarte, in sich auf wie die Äcker und Felder des Flachen Landes den ersten Regen nach dem Hochsommer.
Er lernte schnell und schon bald war er seinem Meister in vielen Bereichen ebenbürtig. Er lernte die Lieder, die er singen musste, um die Magie im Baum zu bewahren und erfuhr viel über die den Hölzern innewohnenden Kräfte. So bot die Eberesche ausreichend Schutz vor bösem Hexenzauber, wie Tötung, Krankheiten, Unfälle oder Hagelschlag. Birke und Haselstrauch lieferten die besten Wünschelruten. Die Weide schenkte dem neugeborenen Kind Lebensglück. Eibenholz symbolisierte das ewige Leben und Fröhlichkeit. Die Eiche hingegen schützte die Lebenden vor Donner und Blitz und gewährte Schutz unter ihren ausladenden Ästen. Jeder einzelne Baum, erkannte Kwin überrascht, bewahrte in sich eine oder mehrere Eigenschaften, die für oder gegen das Leben verwendet werden konnten.
Kwin fertigte auf Borkens Geheiß einen Schlagstock. Für seine Herstellung sollte Kwin totes Eschenholz verwenden und sich lediglich auf die allgemein anerkannten Handwerkspraktiken beschränken. Am Nachmittag des gleichen Tages prüfte Kwin kritisch sein Werk. Der Stock, auch Bauernspieß genannt, war gleichmäßig und eben und reichte Kwin bis zur Schulter. Er lag schwer in der Hand und es erforderte viel Geschick, ihn zu führen,doch das Holz war tot!
Tags darauf stellte Borken die gleiche Aufgabe ein zweites Mal. Diesmal sollte Kwin jedoch lebendiges Holz verwenden. Die Fertigung des Schlagstockes aus magischem Holz war etwas ganz anderes! Obwohl es sich um ein vergleichsweise einfaches Werkstück handelte, mussten unzählige Regeln eingehalten und beachtet werden. Sobald das fertige Werkstück in seiner Vorstellung Gestalt angenommen hatte, befand er sich in einem ständigen Austausch mit dem Holz. Eine Besessenheit hatte ihn ergriffen, wie er sie zuvor nicht gespürt hatte. Alles schien von ihm abzufallen, und nur noch er und das Holz zählten. Vorsichtig spannte er das Achtelstück in die Werkbank und schälte gleichmäßig und langsam Schicht um Schicht herunter, wobei er das Holzstück ständig um seine Längsachse drehte. Nach seinen Vorstellungen sollte der Stock hart und fest werden, gleichzeitig aber auch mit Leichtigkeit zu führen sein. Während der langen Stunden bis zum Morgengrauen sprach Kwin leise vor sich hin. Er sprach von den immer gleichen Bergen im Norden des Flachen Landes und berichtete von der Schnelligkeit und Leichtigkeit des Windes. Bei diesen Geschichten war es gleichgültig, wie und mit welchen Worten er sie erzählte. Es ging allein darum, das Bild des fertigen Werkstückes in der Vorstellung zu erhalten und gleichzeitig die ausgewählten Eigenschaften bei der fortschreitenden Herstellung mit einfließen zu lassen. Zuletzt glättete er den Stock mit Sand und Rindsleder. Dann war er fertig. Behutsam nahm er den Stock in beide Hände und betrachtete ihn aus rotgeränderten Augen von allen Seiten. Der Unterschied war überwältigend. Der Stock in seinen Händen wog um ein vielfaches leichter und war sehr viel härter als der erste. Er passte sich der Hand an, die ihn hielt und führte. Auch war er dunkler als sein Vorgänger, obwohl er beide aus Eschenholz gefertigt hatte.
Kurz darauf kam Borken herunter. Ein Stück Ei klebte noch in seinem Bart und sein Atem roch nach
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