Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
hingewiesen, dass kein Blut in diesem war. Dieser war ein hohles Ding, das ohne Fleisch und Atem trotzdem lebte. Das überstieg seine Vorstellungskraft, ja, es verwirrte ihn. Doch die anderen, die Begleiter des Blutlosen, würden ihn und seine Gefährten entschädigen. Schon hörte er ihre gequälten, schmerzerfüllten Schreie und zitterte vor Erregung.
Schließlich hatten sie das Lager umstellt und alle warteten auf das Zeichen. Der Anführer richtete sich auf, bis er auf seinem letzten Beinpaar stand. Dann hob er das linke Vorderbein, das in einer Klaue endete und trat aus dem Wald auf die Lichtung. Die übrigen folgten dichtauf.
Sie fanden das Lager verlassen. Die Enttäuschung des Anführers schien grenzenlos. Er hob seinen flachen Kopf und zischte laut. Seine Gefährten fielen mit ein und bald summte der kleine Talkessel vom enttäuschten Fauchen der Echsen wider.
Ebenso lautlos, wie sie gekommen waren, verschwanden sie auf ein Zeichen des Anführers wieder im Wald und machten sich im Laufschritt an die Verfolgung der Flüchtigen. Aber der Vorsprung der kleinen Reisegruppe war groß. Knoll, N’Gucha, Yanea und Pail waren schon seit Stunden auf dem Weg nach Hornburg.
4. Das große Fest
Der Himmel war grau und trist, als der Tag des Erntedankfestes anbrach. Schon früh am Morgen war Alep nach Bitterquell aufgebrochen. Er wollte Abschied nehmen von seiner Heimat. Eine Wanderung durchs Flache Land bis zum Dorf schien ihm gerade richtig dafür. Hoch über ihm zog Wigget gemächlich seine Kreise.
In der Nacht zuvor hatte Alep keinen Schlaf gefunden, was nicht allein auf das misstönende Schnarchen des Drachen zurückzuführen gewesen war. Die unbekannte, von Knoll heraufbeschworene Zukunft lockte ihn gleichermaßen wie sie seine Furcht steigerte. Welche Ereignisse erwarteten ihn? Was würde geschehen, wenn das Verschwinden aller Magie einsetzte? Er wusste genug, um sich ein ungefähres Bild der Folgen machen zu können. Pretorius war der oberste Ratgeber von König Antever. Beide regierten Burnyk seit nahezu zwei Jahrzehnten. Nun schien es, als warteten alle, die die Prophezeiung kannten, darauf, dass König Antever durch die Hand seines Sohnes den Tod finden würde, was als zweites Zeichen gewertet werden würde. Mochte Pretorius auch der weiseste unter den Ratgebern des Königs sein, Antevers Sohn würde auch ihn mit Sicherheit nicht am Leben lassen, wenn er auf Dauer König von Burnyk bleiben wollte. Welcher der beiden Söhne Antevers war skrupellos genug, die eigene Familie zu ermorden? Fragen, die nach Knolls Aussagen auch Pretorius bisher nicht hatte beantworten können. Das Leben Antevers und seiner Familie einerseits, sowie der Erhalt von Macht und Magie andererseits war vom Erscheinen der Auserwählten in Hornburg abhängig, unter der Maßgabe, dass der Auserwählte beizeiten gefunden werden konnte.
Es war das erste Mal, dass Alep das Flache Land verlassen wollte. Alle sorgten sich um ihn und um sein Wohlergehen. Ganz besonders Rina. Der Abschied von ihr war ihm besonders schwergefallen. Oma Elders hatte darauf bestanden, ihm einen Beutel mit ausgewählten Kräutern und Wundsalbe mitzugeben. Seine Mutter hatte ihm ihre beste Decke aufgedrängt und erst Ruhe gegeben, als er sie angenommen hatte. Bak überreichte ihm feierlich eine handvoll Pfeile, die er selbst gemacht hatte. Großvater schenkte ihm zwei Goldmünzen und Rina erlaubte ihm, sich selbst ein Geschenk aus all den Sachen auszusuchen, die sie besaß. Alep wählte einen Kuss und bekam zwei. Aleps Vater war in der Scheune und versorgte Hahn und Hennen. Beide würden sich am Nachmittag beim Wettbewerb wiedersehen und Alep hoffte, dass ein anderer ihn besiegen würde, bevor Vater und Sohn gegeneinander antreten mussten. Ganz zuletzt sah Oma Elders ihn an und fragte: „Hast du auch nichts vergessen, Junge?“
„Alles hier drin.“
„Lass mich mal sehen“, forderte sie ihren Enkel auf.
Mit einem ergebenen Seufzen legte Alep sein Bündel auf den Tisch, löste den Knoten und trat einen Schritt zurück. Er wusste, was nun folgen würde.
„Kleidung, Decke, Seife ...“, begann Oma Elders ihre Litanei. „Alles da. Halt! Wo ist deine wollene Unterwäsche? Du willst doch nicht ohne gehen?“ Fragend sah sie ihren Enkel an.
„Großmutter, bitte!“, flehte Alep.
„Nein, mein Lieber. Du wirst dich erkälten. Es ist ein weiter Weg bis Hornburg. Ich dachte mir so was schon und habe sie hierher gelegt. Siehst du. Ich lege sie zu den anderen
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