Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Es würde kaum gelingen, Angela ihr früheres Aussehen zurückzugeben. Die Sängerin schien ihre Gedanken zu lesen.
    »Werde ich nie wieder normal aussehen?«, fragte sie mit monotoner, heiserer Stimme.
    »Du wirst sehr schön sein.«
    »Von wegen!« Sie schüttelte den Kopf und riss sich das Tuch vom Kopf, als enge es sie zu sehr ein. »Das glaube ich nicht.«
    »Doch, das glaubst du«, sagte Julia hart. »Warum bist du sonst hergekommen?«
    »Wann wollen Sie mich operieren?«
    »Ich denke, wir fangen morgen mit den Vorbereitungen an.«
    Als sie das Kliniktor passierten, war es neun. Es fiel ein eisiger Nieselregen. Julia schaltete die Heizung ein und Musik.
    »Wer hat dir das angetan?«
    »Die wird man nie finden«, krächzte Angela, »drei Bastarde haben mich mitten in der Nacht auf dem Hof überfallen, als ich
     mit dem Hund draußen war. Den Hund haben sie getötet. Und mich im Grunde auch, denn mit so einem Gesicht kann man nicht leben.«
    »Was war das für ein Hund?«
    »Ein Pekinese. Kleiner als eine Katze. Ach was, genug davon.«
    »Aber es läuft eine Ermittlung?«
    »Ich weiß nicht. Ich will das vergessen, verstehen Sie?«
    Julia nickte. »Das verstehe ich. Aber es ist wichtig, dass sie gefunden werden, nicht nur, damit sie bestraft werden. Wenn
     man sie findet, wird das Gericht sie verpflichten, deine Behandlung zu bezahlen.«
    »Meine Behandlung bezahlen? Ha-ha! Die finden sie nie im Leben! Und was das Geld angeht – das ist jetzt kein Problem mehr.«
    Eine ganze Weile fuhren sie schweigend weiter. Julia hatte einfach keine Kraft mehr zum Reden. Angela sang hin und wieder
     leise bei Elvis Presley mit. Ihre Stimme klang recht angenehm.
    »Also, wann soll ich morgen da sein?«, fragte Angela, als sie auf den Wernadski-Prospekt einbogen.
    »Um zwölf.«
    »Gut. Da drüben wohne ich.« Sie wies mit einem Kopfnicken auf einen der gelben Zwölfgeschosser auf der anderen Straßenseite.
     »Hinter dem nächsten Häuserblock kann man wenden.«
    Der Wagen stand an einer Ampelkreuzung. In Angelas Tasche klingelte das Telefon.
    »Oh, das ist bestimmt Gena!«, freute sie sich und holte das winzige Handy hervor. »Hallo. Weiß ich schon. Dreißigtausend.
     Nee, natürlich keine Rubel. Was interessiert dich das? Ich komm raus, wenns so weit ist. Sag bloß, du bist schon wieder eifersüchtig?
     Wer will mich denn noch mit so einer Fresse? Ach ja, klar …«
    Es wurde Grün, Julia fuhr weiter und wendete, und Angela hielt noch immer das Telefon in der Hand und hörte angespannt zu.
     Schließlich explodierte sie schreiend: »Ich hasse dich, kapiert? Ich kann dich nicht mehr sehen! Was sagst du? Das darf ich
     nicht? Aber mit Fäusten und Schuhen in die Schnauze, das darf man, ja?«
    Plötzlich besann sie sich, verstummte, klappte das Handy zu und flüsterte hastig: »Gena, mein Produzent, der Idiot hat sich
     betrunken und vergessen, dass er mich aus dem Krankenhaus abholen sollte. Jetzt entschuldigt er sich.«
    Aha, dein Produzent hat dich also brutal zusammengeschlagen, und nun will er die plastischen Operationen bezahlen, dachte
     Julia zweifelnd, schwieg aber.
    »Ich bin einfach mit den Nerven runter«, sagte Angela, als sie im Hof ihres Hauses hielten.
    Julia sah der mageren, linkischen Gestalt nach, wendete und verließ den Hof. Den kleinen schwarzen Toyota mit abgedunkelten
     Scheiben, der nach ihr vom Parkplatz fuhr, bemerkte sie nicht. Der wendige, unauffällige Wagen folgteihr und blieb noch ziemlich lange vor ihrer Tür stehen, nachdem sie im Haus verschwunden war.
     
    Sergej war von der Intensivstation in einen Isolierraum verlegt worden. Dieselben kahlen gefliesten Wände, aber immerhin gab
     es dicht unter der Decke ein kleines Fenster, vor dem sich junge Kiefern wiegten; dahinter schimmerte die weiße Wand des Nachbargebäudes
     durch. Wenn er sich auf die rechte Seite drehte und ein wenig den Kopf hob, konnte er hinausschauen, allerdings nicht lange.
     Jede Bewegung bereitete ihm so heftige Schmerzen, dass er Sterne sah. Die Schmerzmittel halfen nur, wenn er still auf dem
     Rücken liegen blieb.
    Sergej hatte das Zeitgefühl verloren. Katja vermied es, mit ihm zu reden, wahrscheinlich hatte man es ihr verboten. Awanessow
     kam immer seltener vorbei und gab nur ausweichende Antworten. Beim letzten Mal hatte er über Halsschmerzen geklagt und erklärt,
     das Sprechen falle ihm furchtbar schwer.
    Major Loginow stellte fest, dass in der monotonen, zähfließenden Zeit die lichtesten Momente die waren,

Weitere Kostenlose Bücher