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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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erschreckt Sie das so? Ändert es denn etwas,
     wenn ich Objekt A kenne?«
    »Ja!«, brüllte er – er verlor fast die Beherrschung. »Allerdings! Also, kennen Sie ihn oder nicht?«
    »Beruhigen Sie sich. Ich sehe ihn auf diesen Fotos zum ersten Mal. Ich hatte genau wie Sie beim Studium Psychologie und habe
     schon mal was von der uralten rätselhaften Wissenschaft der Physiognomik gehört. Das alles steht ihm auf der Stirn geschrieben,
     man muss es nur lesen können.«
    »Das können Sie allerdings, Julia«, zischte Raiski nach einer langen Pause. »Und was steht Objekt B auf der Stirn geschrieben?«
    »Klug, stark, zuverlässig. Eine gewisse Härte, aber die hat vermutlich mit seiner Lebensweise zu tun. Er muss oft Entscheidungen
     treffen, nicht nur für sich, sondern auch für andere. Tja, was noch? Er ist belastbar, anspruchslos, verschlossen. Ja, sehr
     verschlossen und vermutlich einsam. Er ist ein Schweiger, aber nicht auf so vielsagende Weise wie Sie, Michail. Er schweigt
     eben lieber, als er redet, das entspricht mehr seiner Natur. Sie dagegen machen Pausen, um Ihr Gegenüber zu verunsichern,
     es zu verwirren und seine Widerstandskraft zu brechen.«
    »Bravo!« Raiski lachte künstlich und legte ein paarmal die Hände zusammen, als wolle er Beifall klatschen. »Ich würde Sie
     als Psychologin einstellen.«
    »Ich würde ablehnen.« Julia lächelte.
    »Warum?«
    »Erstens mag ich keine vielsagenden Pausen, zweitens habe ich einen anderen Beruf. Kommen wir zum Schluss, Michail Jewgenjewitsch.
     Wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll ich aus Objekt B einen Doppelgänger von Objekt A machen, ja?«
    »Ganz recht.«
    Damals war es ihr nicht in den Sinn gekommen, zu fragen, ob Objekt B wisse, was man mit ihm vorhatte. Sie war überzeugt, dass
     er es wusste. Sie wunderte sich nur, dassman ihr zwar sämtliche medizinischen Daten über den Patienten gab, sie jedoch nie zu einer Voruntersuchung zu ihm ließ. Doch
     als Raiski ihr mitteilte, dass Objekt B nicht wissen dürfe, wer sie sei und zu welchem Zweck sie ihn untersuchte, war das
     für sie ein Schock.
    Das Gespräch fand in Raiskis gemütlichem halbdunklem Büro statt, unmittelbar vor der Operation. Da hatte sie die Schweigeverpflichtung
     schon unterschrieben.
    Der Oberst drohte ihr nicht mehr mit Angelas Liebhaber, dem geheimnisvollen tschetschenischen Terroristen. Inzwischen war
     sie fast sicher, dass es diesen Tschetschenen überhaupt nicht gab und der nächtliche Anruf so etwas wie eine Einstimmung zur
     Mitarbeit gewesen war. Das hatte bestimmt Raiski selbst inszeniert. Erst hatte er sie eingeschüchtert und dann ein anderes,
     ziemlich gewichtiges Argument ins Feld geführt, das sie nicht demütigte.
    »Julia Nikolajewna, Sie haben sich im Studium auf Extremchirurgie spezialisiert. Sie wollten Chirurgin werden, um Menschen
     das Leben zu retten, nicht wahr?«
    Sie nickte. »Schon möglich.«
    »Nicht möglich, sondern ganz sicher.« Er lächelte charmant.
    Das musste man ihm lassen – lächeln konnte er. Dieses strahlende Zähneblecken hatte er bestimmt stundenlang vorm Spiegel probiert.
     Es brachte sein Gegenüber automatisch dazu, das Lächeln zu erwidern.
    »Wissen Sie, Julia, ein plastischer Chirurg tut ein gutes Werk, er hilft den Menschen, schön zu werden, sich zu lieben, Komplexe
     loszuwerden. Aber er rettet niemals Leben. Eine solche Chance haben Sie jetzt. Sie verändern nicht nur das Aussehen eines
     Menschen. Sie retten ihm das Leben.«
    »Das müssen Sie mir erklären.«
    »Mit diesem Gesicht kann er diese Militärbasis nicht verlassen.Nur mit einem veränderten Aussehen hat er eine Chance, am Leben zu bleiben.«
    »Und deshalb soll er ein Doppelgänger von Objekt A werden?«
    »Ganz recht.«
    »Warum?«
    »Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Sie müssen mir einfach glauben.«
    »Das würde ich gern, aber es ist unmöglich. Sagen Sie, ist Objekt B ein Selbstmörder?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie sagen, er darf von der bevorstehenden Operation nichts wissen. Daraus schließe ich, dass er vielleicht gar keine Operation
     wünscht und ernsthaft gegen die Veränderung seines Gesichts protestieren würde, das heißt also, er ist entweder lebensmüde,
     oder er sieht für sich andere Überlebensmöglichkeiten.«
    »Er hat keine anderen Möglichkeiten.« Raiskis Stimme klang leise und unheimlich. »Und wir beide auch nicht, Julia.«
    »Hat Objekt A auch keine andere Möglichkeit?«, fragte Julia und zog eine Zigarette aus

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