Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
du?«
    »Na, na, Alter, hör auf, begrab dich mal nicht vor derZeit! Sechsunddreißig, das ist doch kein Alter für einen Mann. Deine Schwester ist übrigens toll, sie liebt dich sehr. Was
     macht sie eigentlich? Sie sieht umwerfend aus und trägt teure Klamotten.«
    »Irina hat reich geheiratet. Einen Geschäftsmann.« Juri lachte schief.
    »Was macht er denn für Geschäfte?«, fragte Stas gleichgültig, ein künstliches Gähnen unterdrückend.
    »Ich glaub, er hat eine eigene Firma. Sicherheitsdienst, Leibwächter, Privatdetektive.«
    »Privatdetektive?«, fragte Stas gedehnt. »Kann man sich an die wenden, wenn man Probleme hat?«
    »Wer hat Probleme? Du?« Juri lachte erneut spöttisch.
    »Gott behüte, Juri!« Stas lachte fröhlich. »Bei mir ist alles okay. Aber ein Freund von mir ist in eine komische Scheiße geraten.«
    »Seit wann ist Scheiße komisch?«, fragte Juri leise und lachte zum ersten Mal. Sein Lachen klang fröhlich und ansteckend.
     Stas registrierte seine makellosen, kräftigen weißen Zähne.
    Wer weiß, vielleicht hat der Mann seiner Schwester ihm einen guten Zahnarzt bezahlt, dachte er und sagte: »Da gibts gar nichts
     zu lachen, Michejew. Man wollte den Mann umlegen, und du lachst.«
    »Wen hat er denn so schlimm gekränkt, dein Freund?« Juri kniff die Augen zusammen.
    »Das ist es ja – niemanden«, seufzte Stas und zwang sich, Michejew in die Augen zu sehen, was ihm ungeheuer schwerfiel.
    »Was denn, überhaupt niemanden, niemals? Tja, dann ist er wohl ein Heiliger.«
    Juri lachte erneut, stand langsam auf, trat zu Stas und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vielleicht hat dein Freund es
     nur vergessen? Du weißt ja, wie das so ist, nicht?Besonders, wenn man glaubt, es gebe keine Zeugen, keine Spuren, und das Ganze ist viele Jahre her, nicht wahr, Gerassimow?«
     Er zwinkerte ihm zu und ließ sich neben ihm auf der Liege nieder. »Es gibt Dinge, die kann man nicht vergessen. Auch wenn
     man es noch so gern möchte.«
    Stas zuckte mit der Schulter, um die Hand abzuschütteln, aber die schlanken, eisernen Finger krallten sich nur stärker fest.
    »Hör mal, Juri, lass uns jetzt nicht darüber reden«, zischte er, mit Mühe die Beherrschung wahrend. »Ich weiß sowieso nichts.«
    »Du weißt nichts? Und wieso hast du dann davon angefangen.«
    »Du hast von Privatdetektiven gesprochen, da fiel mir ein, dass ein Freund mich gefragt hat, ob ich welche kenne.«
    »Wieso ist er denn nicht zu den Bullen gegangen mit seiner komischen Scheiße, dein Freund?«
    »Klar, die Bullen, natürlich, aber auf die kann man kaum hoffen«, murmelte Stas und verspürte plötzlich eine entsetzliche
     Schwäche im ganzen Körper. »Damit die sich ernsthaft darum kümmern, muss er erst umgebracht werden. Sie wollen eine Leiche,
     ohne Leiche ist das für die kein Thema. Das heißt, sein Chauffeur wurde umgebracht, aber der kann auch eigene Probleme gehabt
     haben.«
    »Schon möglich«, stimmte Juri ihm gewichtig zu, »er war bestimmt nicht nur Chauffeur, sondern außerdem Wachmann. Aufpasser.
     Eine üble Sorte.«
    »Wieso Aufpasser?« Stas zwinkerte verwirrt. »Er war Leibwächter. Hör mal, Juri, du hast doch gesessen, nicht? Gabs bei euch
     im Lager Aufseher, an denen sich hinterher, nach der Entlassung, jemand gerächt hat?«
    »Was?« Juri verzog verächtlich das Gesicht. »Hat dein Leibwächter etwa im Lager gedient?«
    »Wieso meiner? Ich hab damit überhaupt nichts zu tun,ich frage nur, ob so was sein kann, dass ein Aufseher jemanden so getriezt hat, dass der ihn später, nach vielen Jahren, dafür
     umbringt?«
    »Aha, ich verstehe« – Michejew nickte bedeutungsvoll –, »du fragst einfach so, aus allgemeinem Interesse. Du willst die Meinung
     eines Fachmanns? Ja? Durchaus möglich. Kommt alles vor. Aber dein Freund, der sich an nichts erinnert, der sollte lieber nicht
     darauf bauen, dass das alles Zufall war. Ich glaub eher, sein Gorilla wurde nicht umgebracht, weil er mal Aufseher war, sondern
     um deinem Gedächtnislosen zu zeigen, wie einfach und schnell so was geht.«
    »Hör mal, Juri, lass uns ernsthaft reden, du denkst bestimmt noch immer, ich hätte was mit ihr gehabt, und …« Er hob den Kopf
     und traf auf einen so eisigen, so spöttischen Blick, dass er verstummte.
    Auch Michejew schwieg, die Pause wurde immer länger und verdichtete sich in der Luft wie Kohlenmonoxid.
    Schließlich ertönte Juris ruhiger Bass: »Als ich im Knast gelandet bin, wollte ich am liebsten sterben. Ich

Weitere Kostenlose Bücher