Der falsche Engel
der Schachtel. »Weiß er, dass Sie ihm
hier einen Doppelgänger basteln? Oder wollen Sie ihn damit überraschen?«
Raiski erhob sich gemächlich aus seinem Sessel, trat dicht zu ihr, schnippte mit dem Feuerzeug und sagte kaum hörbar: »Die
Existenz des Objekts A sollten Sie lieber vergessen, Julia.«
»Drohen Sie mir schon wieder?« Sie wandte sich ab, um ihm nicht den Rauch ins Gesicht zu blasen, und als sie wieder hinschaute,
blickte sie in sein charmantes Lächeln.
»Ich hatte nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde, sich mit Ihnen zu einigen; Sie werden schließlich von uns bezahlt,
und nicht zu knapp«, sagte er und küsste ihr die Hand.
Das kam so überraschend, dass Julia die Hand wegriss.
»Das Geld ist natürlich wunderbar.« Julia nickte. »Aber Sie müssen zugeben, Sie schenken oder leihen es mir nicht. Sie bezahlen
lediglich meine Arbeit, und die ist nun mal teuer. Und dass Sie es schwer haben, Michail, liegt nicht an mir. Lügen ist einfach
immer schwer und unangenehm, selbst wenn man es gut beherrscht und viel Erfahrung damit hat.«
Genau in diesem Augenblick klingelte das Telefon.
»Ja«, sagte Raiski, hörte dem Anrufer zu, legte auf und erhob sich.
»Es ist so weit, Julia.«
Zwanzig Minuten später sah sie den Mann, den sie operieren sollte, zum ersten Mal. Und eine Stunde später lag Major Loginow
in tiefem Narkoseschlaf.
Dreizehntes Kapitel
Stas hasste Neubauviertel. Schlechtgekleidete Menschen mit grauen Gesichtern, einförmige graue Häuserblocks – all diese Hässlichkeit
ärgerte ihn, besonders bei schlechtem Wetter. So erklärte er sich jedenfalls die Trockenheit in seinem Mund und die ziehenden
Magenschmerzen, als er endlich in die Sormowskaja-Straße einbog.
Das gesuchte Haus war ein schmutziger fünfgeschossiger Plattenbau. Eine Klingelanlage gab es nicht. Es stank nach Müll. Die
Wände waren vollgekritzelt wie in der New Yorker Subway. Stas hielt sich die Nase zu und stieg die unglaublich schmutzige
Treppe hinauf in die vierte Etage, blieb vor einer schäbigen Tür stehen und drückte auf den Klingelknopf. Es blieb still.
Die Klingel war kaputt, er musste klopfen. Lange reagierte niemand. Schließlich hörte Stas Geräusche hinter der Tür, und ein
heiserer, knarrender Bass fragte: »Bist dus, Irka? Komm rein, es ist offen!«
Langsam drehte Stas am Türknauf. Zuerst sah er eine männliche Silhouette im dunklen kleinen Flur. Dort stand ein Mann, der
nicht im Entferntesten aussah wie ein heruntergekommener Trinker. Stas wich zurück, und auch der Unbekannte trat einen Schritt
zurück. Stas wollte die Tür zuschlagen und weglaufen, doch da vernahm er einen schweren, blubbernden Husten, und im Türrahmen
erschien ein Kopf.
»Was willst du?«, fragte der Kopf in heiserem Bass.
Stas bemerkte eine Schramme auf seiner Wange und einen blauen Fleck unterm Auge. Im Flur ging plötzlich das Licht an.
Am Flurende entdeckte Stas einen großen Spiegel, direkt gegenüber der Tür.
Die bedrohliche Silhouette war lediglich sein eigenes Spiegelbild gewesen. Vor ihm stand ein magerer kleiner Mann in zerknittertem
kariertem Hemd und grässlichen Trikothosen. Von dem rotwangigen Juri Michejew war nur noch die Stimme geblieben.
»Na, komm rein, wenn du schon mal da bist. Es zieht.«
»Hallo, Juri. Erkennst du mich?«, fragte Stas nach einem heiseren Räuspern und trat in den Flur.
»Gerassimow, du?« Entzündete Augen glitten über sein Gesicht. Juri äußerte weder Erstaunen noch Freude, als hätten sie sich
nicht vor sechzehn Jahren zum letzten Mal gesehen, sondern vorgestern. Ein Windstoß schlug die Tür hinter Stas zu und schnitt
ihm so den Rückzug ab.
»Hier, das soll ich dir von deiner Schwester geben.« Er reichte Juri die Plastiktüte.
»Aha.« Juri nickte und nahm ihm die Tüte ab. »Hör mal, hast du was zu trinken mitgebracht?«
»Trinken ist schädlich«, verkündete Stas mit dümmlichem Lächeln.
Juri antwortete nicht, ging mit der Tüte in die Küche undfluchte dort träge auf Irina, die ihm lauter Blödsinn schickte statt einer simplen Flasche Wodka.
Was will ich hier, dachte Stas wehmütig. Warum bin ich hergekommen?
Er zog seine Jacke aus, hängte sie neben die Wattejacke des Hausherrn und ging entschlossen in die Küche. Michejew saß rauchend
an einem nackten Plastiktisch auf einem Hocker und starrte aus dem dunklen Fenster ohne Vorhänge. Stas beachtete er gar nicht,
er schnippte nur die Asche in eine leere
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