Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Entschluss: Sobald ich ein neues Zuhause für mich gefunden hatte, egal, wo, würde ich hundert – nein, zweihundert – Stifte kaufen und sie in der ganzen Wohnung verteilen. Ich würde sie in sämtlichen Schubladen deponieren, in allen Regalfächern und Schränken, hinter Büchern und Sofas, in den Taschen meiner Mäntel und Jacken, damit ich immer einen greifbar hatte.
    Dabei war ich im Moment gar nicht in der richtigen Stimmung. Ich machte mir erst mal eine Tasse Kaffee. Bei der Gelegenheit widerlegte ich die Behauptung, wenn man auf etwas warte, dauere es besonders lange. Ich stellte einen Topf mit kaltem Wasser auf den Herd und starrte ihn gedankenverloren an, und in null Komma nichts hörte ich das Pfeifen und sah den Deckel wackeln. Als der Kaffee fertig war, legte ich die Hände um die heiße Tasse und genoss die Wärme, während ich aus dem Fenster starrte, ohne etwas wahrzunehmen. Dann wandte sich mein Blick wieder dem Wohnzimmer zu. Bald würde alles in Kisten verpackt und irgendwo eingelagert sein, um später wieder ausgepackt und irgendwo anders aufgestellt zu werden. Obwohl im Moment noch alles so wie immer aussah, fühlte ich mich bereits wie eine Emigrantin, die ihr ganzes altes Leben hinter sich lassen würde.
    Vorher aber hatte ich noch ein, zwei Dinge zu erledigen, und das hier war das Allerwichtigste. Ich kehrte an den Tisch zurück und begann zu schreiben.

    Liebe Naomi,
    wenn Sie diese Worte lesen, bedeutet das zumindest, dass Sie den Umschlag nicht gleich in den Müll geworfen haben, und das ist ja schon mal was wert.
    Wie Sie wahrscheinlich wissen, werde ich, falls Sie diesen Brief an Brendan/Ben oder die Polizei weitergeben – das läuft auf dasselbe hinaus –, verhaftet und wegen Belästigung angeklagt. Zumindest hat man mir damit gedroht. Ich hoffe, Sie werden es nicht tun. Ich möchte nicht ins Gefängnis. Aber falls Sie den Brief tatsächlich weitergeben, könnten Sie ihn bitte vorher lesen? Ich möchte auch, dass Sie folgendes Versprechen zur Kenntnis nehmen: Dies ist meine letzte Nachricht an Sie. Ich werde mich nie wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Nun liegt es an Ihnen.
    Ich will mein Verhalten Ihnen gegenüber nicht rechtfertigen.
    Das wäre alles viel zu kompliziert, und wahrscheinlich würde ich sowieso nicht die richtigen Worte finden, um es Ihnen zu erklären.
    Ich kann jetzt nur versuchen, mich so klar wie möglich auszudrücken. Man hat mich beschuldigt, eine Gefahr für Brendan darzustellen. Zufällig bin ich der Meinung, dass es sich andersherum verhält. Wenn ich nachts aufwache, befürchte ich bei jedem Knacken, das ich höre, er könnte gekommen sein, um mich kaltzumachen. Das ist natürlich nicht Ihr Problem. Ich habe um mich selbst Angst, bin aber ziemlich sicher, dass Sie sich in noch größerer Gefahr befinden als ich. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber eines Tages, wenn etwas schief läuft, wie es in jeder Beziehung mal passiert. Ich glaube nicht, dass Brendan es ertragen kann, wenn irgendetwas nicht so läuft, wie er es geplant hat.
    Was soll ich Ihnen schreiben? Eigentlich wollte ich Ihnen eine Art Checkliste schicken. Glauben Sie, dass er Ihnen die Wahrheit sagt? Sorgt er sich um Sie, oder kontrolliert er Sie?
    Verschweigt er Ihnen etwas? Gibt es in seinem Verhalten Anzeichen für Wut? Gewalttätigkeit? Wissen Sie, was er tut, wenn er nicht mit Ihnen zusammen ist? Wie viel wissen Sie wirklich über ihn? Glauben Sie, was er Ihnen erzählt?
    Aber das ist alles Unsinn. Vergessen Sie, was ich gerade geschrieben habe. Sie werden es selbst merken.
    Ich wünsche Ihnen Glück und dass Sie nie in eine Situation geraten, in der Sie es für nötig halten, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich ziehe gerade aus meiner Wohnung aus und weiß noch nicht, wo ich hingehen werde, aber für den Fall, dass Sie doch irgendwann den Wunsch haben sollten, Verbindung mit mir aufzunehmen, werde ich diesem Brief die Telefonnummern mehrerer Leute beifügen. Jemand von ihnen müsste in der Lage sein, den Kontakt mit mir herzustellen.
    Ich fürchte, Ihr Leben steht im Moment nicht unter einem guten Stern. Trotzdem wünsche ich Ihnen Glück.
    Miranda

    Bevor ich es mir anders überlegen konnte, steckte ich den Brief in einen Umschlag, adressierte ihn c/o Crabtrees, ging zu dem Briefkasten an der Ecke und warf ihn ein.
    Es ist eine Lebensregel, dass man, um eine verloren gegangene Socke wiederzufinden, bloß die zweite Socke wegzuwerfen braucht. Und wenn Sie

Weitere Kostenlose Bücher