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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Tage lang sogar die Bretagne, wo anscheinend viele Engländer verzweifelt darauf warteten, dass eine ehemalige, zur Innenausstatterin avancierte Malerin und Tapeziererin ihre pittoresken alten Bauernhäuser aufmotzte. Aber genau wie bei Alice, die beim Durchschreiten des Spiegels feststellt, dass sie rückwärts gehen muss, um voranzukommen, kam bei meinen ganzen Bemühungen das genaue Gegenteil von dem heraus, was ich eigentlich angestrebt hatte. Bei meinem Versuch, mich aus dem großen, sich drehenden Rad der Stadt zu lösen, war ich irgendwie direkt in seiner Nabe gelandet.
    Ich wohnte zurzeit gleich südlich von King’s Cross in einem hohen, schmalen Haus, das ich komplett renovierte, während der Besitzer für neun Monate in Amerika weilte. Als er mir den Job angeboten hatte – eine extravagante modernistische Umwandlung der Art, wie sie mir immer vorgeschwebt hatte, mit freier Logis als zusätzlichem Anreiz –, hatte ich das Gefühl gehabt, einfach nicht nein sagen zu können. Eine solche Gelegenheit bekam ich womöglich nie wieder. Ich hatte mich von unten nach oben vorgearbeitet – die alte Küche herausgerissen und stattdessen ein Labor für Nahrungszubereitung eingerichtet, einen minimalistischen Wintergarten angefügt, das Wohnzimmer zum Garten hinaus geöffnet, das kleinste der Schlafzimmer in ein nobles Badezimmer umgewandelt. Acht von den neun Monaten waren inzwischen vergangen. Nun musste nur noch der Speicherraum, in dem ich schlief, verputzt, gestrichen und zum Himmel geöffnet werden.
    »Du hast hier wirklich tolle Arbeit geleistet.« Don schob sich das letztes Stück Sandwich in den Mund und schlüpfte in seine Jacke.
    »Es ist schön geworden, oder?«
    »Und jetzt bist du fast fertig.«
    »Ja.«
    »Miranda?«
    »Ja.«
    »Danach …«
    Aber in dem Moment begann oben im Schlafzimmer mein Handy zu klingeln, sodass wir uns eilig voneinander verabschiedeten. Als ich im Speicher nach meinem Telefon griff, hörte ich unten die Tür zufallen. Rasch trat ich unter das Dachfenster. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte und mir den Hals verrenkte, konnte ich ihn vielleicht noch sehen.
    Eiligen Schrittes ging er die Straße entlang. Er hatte seine Krawatte vergessen.

    Am frühen Abend drehten wir eine Runde mit dem Fahrrad und kehrten in einem Café ein. Obwohl es bereits kühl wurde, tranken wir unseren Kaffee im Freien. Wir waren nun schon fast ein Jahr zusammen, hatten alle vier Jahreszeiten miteinander erlebt. Er hatte mir geholfen, die kritischen Tage zu überstehen
    – Troys Todestag, Weihnachten, Lauras Todestag. Ich hatte ihn meinen verwirrten Eltern vorgestellt, ihn zu Kerry und ihrem Verlobten mitgenommen, ebenso zu all meinen Freunden. Er ließ es sich gefallen, dass ich ihn um drei Uhr morgens aufweckte, um mit ihm über die Dinge zu sprechen, über die ich tagsüber nicht reden wollte. Er war mit mir durch Baustofflager gewandert und hatte sich bemüht, Interesse für die verschiedenen Holzarten zu zeigen, oder mir die Leiter gehalten, während ihm von oben Farbe aufs Haar tropfte. Im Moment radelte er neben mir her, und ich betrachtete ihn liebevoll.
    Offenbar spürte er meinen Blick, denn er hob den Kopf und scherte gleichzeitig ein wenig aus. Mein Herz zog sich zusammen.
    Als wir wieder in seiner Wohnung waren, bereitete er ein Abendessen für uns zu, während ich auf der alten Kirchenbank saß, die er im Reclamation Centre gekauft hatte, und ihm zusah.
    Nachdem er sich zum Essen hingesetzt hatte, nahm er eine kleine Gabel voll, schob den Teller aber gleich wieder weg.
    »Ähm – was ich heute Nachmittag sagen wollte …«
    »Ja?«
    »Du weißt schon, wegen deiner weiteren Pläne. Na ja, ich habe mir gedacht – du könntest doch bei mir einziehen.«
    Ich setzte zu einer Antwort an, aber er hielt mich mit einer Handbewegung zurück.

    »Moment. Das ist jetzt ganz falsch rübergekommen. ›Du könntest doch bei mir einziehen.‹ Das wollte ich gar nicht sagen.
    Ich meine, natürlich kannst du bei mir einziehen, aber eigentlich wollte ich damit etwas ganz anderes ausdrücken. Und wenn ich sage, ich habe mir gedacht, du könntest bei mir einziehen, dann klingt das, als wäre es mir gerade erst eingefallen. Dabei denke ich an nichts anderes mehr.«
    »Du verwirrst mich.«
    »Das liegt daran, dass ich so aufgeregt bin.« Er holte tief Luft und sagte dann: »Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir zusammenzuleben.« Nervös drehte er den Stiel des Weinglases zwischen

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