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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mit ihrer Tochter. Laura schien das Abbild ihres Vaters gewesen zu sein, der noch immer ein gut aussehender Mann war. Er besaß ein hageres Gesicht mit markanten Wangenknochen. In seinem dunklen Anzug schien er sich nicht besonders wohl zu fühlen. Vielleicht hatte er ihn sich von jemandem ausgeliehen.
    Hinter ihnen ging Brendan. Mir blieb fast die Luft weg, so attraktiv sah er aus. Alles an ihm passte. Er hielt seine Hände ineinander verkrampft, als würde er sich angestrengt bemühen, seinen Schmerz nicht zu zeigen. Sein schwarzer Anzug war makellos. Dazu trug er ein weißes Hemd und eine prächtige purpurrote Krawatte, die er zu einem großen Knoten gebunden hatte. Sein Haar wirkte ein wenig zerzaust, was einen Kontrast zu seiner extrem gepflegten, korrekten Kleidung bildete, aber trotzdem dazupasste, als ein Zeichen seines Kummers und seiner Leidenschaft, ein Hauch von eleganter Lässigkeit. Sein Gesicht war sehr blass, der Blick seiner dunklen Augen starr nach vorn gerichtet, sodass er mich nicht sah.
    Die Prozession zog den Mittelgang entlang und durch die Tür ins Freie. Drinnen wurde nach einer Weile verlegenes Füßescharren und Gemurmel laut, weil alle länger als nötig warteten, um ganz sicher zu sein, dass sämtliche Familienmitglieder die Kirche verlassen hatten. Da ich als Letzte gekommen war, stand ich als eine der Ersten wieder vor der Tür und blinzelte benommen in die Sonne. Das grelle Licht blendete mich, aber erst nach einer Weile wurde mir bewusst, dass ich weinte. Drinnen in der Kirche war mir alles irgendwie zu viel gewesen, aber als ich nun den Friedhof mit der Masse von Gräbern sah, machte mich der Gedanke, dass das alles einmal Menschen gewesen waren und Laura nun zu ihnen gehörte, derart traurig, dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Schon wieder. Meine Augen gewöhnten sich langsam daran. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.

    »Miranda?«
    Ich drehte mich um. Vor mir stand die Frau, deren Namen ich vergessen hatte. Laura hatte während ihres ersten Jahrs am College im selben Haus gewohnt wie sie. Lucy. Sally. Paula.
    »Hallo«, sagte ich.
    Sie umarmte mich herzlich. Kate. Susan. Es war ein kurzer, schlichter Name gewesen. Tina. Jackie. Jane.
    »Es tut so gut, ein vertrautes Gesicht zu sehen«, sagte sie.
    »Es ist ziemlich lange her, dass ich Laura zum letzten Mal gesehen habe. Ich dachte, ich würde gar niemanden kennen.«
    Lizzie. Frances. Cathy. Jean. Alice. Nein.
    Ich brachte nicht mehr als ein Schulterzucken zustande.
    »Ist es nicht unfassbar traurig?«, fragte sie. »Ich kann es noch immer nicht glauben.«
    »So geht es mir auch«, antwortete ich. Ich hätte sie sofort nach ihrem Namen fragen und mich entschuldigen sollen. Nun war es zu spät. Julia. Sarah. Jan. Vielleicht würde sich jemand anderer zu uns gesellen und sie beim Namen nennen. Blieb nur zu hoffen, dass ich sie niemandem vorstellen musste.
    »Kommst du noch mit zu ihren Eltern?«, erkundigte sie sich.
    »Ich weiß nicht so recht.«
    »Du musst unbedingt mitkommen«, drängte sie mich.
    »Wenigstens für eine halbe Stunde. Ich würde mich so gern ein bisschen mit dir unterhalten.«
    »Na gut«, antwortete ich. Sie hielt eine Karte in der Hand, auf welcher der Weg verzeichnet war. Einer göttlichen Eingebung folgend, fragte ich sie, ob ich einen Blick darauf werfen dürfe, woraufhin sie mir die Karte reichte. Ich drehte sie um. In der rechten oberen Ecke stand mit Füller der Name »Sian«.
    Natürlich. Wie hatte ich das vergessen können? Ich war sehr erleichtert. Endlich hatte in meinem Leben mal wieder etwas geklappt.
    »Das ist schon seltsam«, stellte sie gerade fest. »Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich auf der Beerdigung eines Menschen in meinem Alter.«
    »Ja, Sian«, antwortete ich, nur um ihr zu zeigen, dass ich ihren Namen noch wusste. »Das ist wirklich seltsam.«
    Ich sagte nichts von Troy. Sein Tod war für mich etwas so Intimes und Kostbares, dass er für mich kein normales Gesprächsthema darstellte, über das ich mich mit Menschen unterhalten wollte, die ich kaum kannte und wahrscheinlich niemals wiedersehen würde. Sian erzählte, dass sie Laura zuletzt vor über einem Jahr gesehen habe. Gemeinsame Freunde hätten ihr berichtet, dass sie vor kurzem klammheimlich geheiratet habe, wenn auch nur standesamtlich.
    »Sie hat einen Typen geheiratet, von dem ich noch nie gehört habe«, fügte sie hinzu. »Es muss alles ganz schnell gegangen sein.«
    Am liebsten hätte

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