Der falsche Freund
Als ich die Tür aufzuschieben versuchte, spürte ich Widerstand. Als sie schließlich doch nachgab, wurde mir klar, dass die kleine Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt war. Ein bärtiger Mann in einem dunklen Trenchcoat trat zur Seite, um mich hineinzulassen.
Ich befand mich auf halber Höhe des Kirchenschiffs, wo mir eine Säule die Sicht nach vorn versperrte. Als das Lied zu Ende war, begann jemand, den ich nicht sehen konnte, zu sprechen.
Ich blickte mich nach vertrauten Gesichtern um, aber es schien sich um eine Ansammlung von Fremden zu handeln, sodass ich mich einen Moment lang fragte, ob ich wohl in die falsche Kirche geplatzt war, aber dann entdeckte ich eine junge Frau, die mit Laura und mir am College gewesen war. Unsere Blicke trafen sich, aber ich konnte mich nicht an ihren Namen erinnern.
Hoffentlich würden wir uns hinterher nicht über den Weg laufen. Ganz weit hinten sah ich Tony, der hager und gequält wirkte, aber auch seltsam verlegen, als befände er sich auf einer Veranstaltung, für die er keinen Eintritt bezahlt hatte. Ich hatte mich bisher überhaupt nicht auf die Predigt konzentriert und zwang mich jetzt zuzuhören. Anfangs drangen nur einzelne Phrasen in mein Bewusstsein, die nicht viel Sinn zu ergeben schienen: »glückliche junge Frau«, »in der Blüte der Jugend«,
»Frühlingsmorgen«. Aus dem etwas gekünstelten Tonfall des Pfarrers schloss ich, dass er Laura nicht persönlich gekannt, sondern nur von ihr gehört hatte.
»Manchmal würden wir Gott am liebsten Fragen stellen«, sagte er gerade. »Wir würden ihn gerne fragen, warum guten Menschen schlimme Dinge passieren. Warum unschuldige Kinder leiden müssen. Und warum diese hübsche, fröhliche junge Frau durch einen so grausamen und unnötigen Unfall sterben musste. Solch ein Unfall ist immer schlimm, aber für eine Frau wie Laura, die frisch verheiratet war, ist es wirklich ein fast unerträglich grausames Schicksal.«
Durch den Nebel meiner Verwirrung und meines Kummers traf es mich wie ein Messerstich. »Frisch verheiratet.«
Das hatte ich nicht gewusst. Dann hatten sie also geheiratet.
Laura hatte geheiratet.
»Und deswegen«, fuhr der Pfarrer fort, »müssen unsere Gedanken und Gebete nicht nur bei Lauras Eltern Jim und Betty sein, sondern auch bei Brendan, ihrem frisch gebackenen Ehemann.«
Jetzt sah ich ihn. Wenn ich mich ein wenig zur Seite neigte, hatte ich einen guten Blick auf die Trauernden in der ersten Reihe, auch wenn ich sie natürlich nur von hinten sah. Eine grauhaarige, nach vorn gebeugte Frau, neben ihr ein grauhaariger Mann, der den Arm um sie gelegt hatte, und auf ihrer anderen Seite, sehr aufrecht sitzend, den Blick nach vorn gerichtet, Brendan. Ich konnte mir seinen Gesichtsausdruck genau vorstellen. Er war bestimmt der überzeugendste Trauernde in der ganzen Kirche, der Weltmeister im Trauern.
Bestimmt wirkte sein Blick bekümmert, aber auch nachdenklich.
Als der Pfarrer eben seinen Namen erwähnte, hatte Brendan ihm wahrscheinlich einen kurzen Blick zugeworfen, gequält den Mund verzogen und dazu bescheiden genickt. Ich beobachtete, wie er sich Lauras Mutter zuwandte. Ganz genau. Obwohl er selbst so litt, dachte er noch an die anderen. Welch ein Star!
Nun wurde ein weiteres Lied angestimmt, dann las ein Onkel Lauras ein Gedicht vor, und anschließend erklärte der Pfarrer, dass nur die Angehörigen den Sarg zum Grab begleiten würden.
Die übrigen Trauergäste sollten sich im Haus der Eltern versammeln. Es sei nicht weit zu gehen, die Gottesdienstordnung enthalte eine kleine Karte. Da ich keine solche Gottesdienstordnung besaß, würde ich der Menge folgen müssen. Das alles erinnerte mich sehr an unsere früheren Schulgottesdienste – die Lieder, die Erklärungen, die vorgeschriebene Reihenfolge beim Verlassen der Kirche. Als der Sarg schließlich an mir vorbeigetragen wurde, brachte ich ihn kaum mit Laura in Verbindung. Ich machte mir nur darüber Gedanken, wie schwer er wohl war, und wie die Träger ausgewählt wurden. Ob es sich dabei um Verwandte und Freunde handelte oder aber um Angestellte des Beerdigungsinstituts. Obwohl Laura meine beste Freundin gewesen war, hatte ich ihre Eltern nie kennen gelernt. Sie hatte sich während ihres letzten Schuljahrs wegen einer Jungengeschichte mit ihnen entzweit, sodass ich die beiden nun, als sie dem Sarg aus der Kirche folgten, zum ersten Mal sah.
Seltsamerweise hatte Lauras Mutter, die rundgesichtig und füllig war, keinerlei Ähnlichkeit
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