Der falsche Graf
fuhr los.
9. Kapitel
Waren seit ihrer Ankunft tatsächlich schon vier Tage vergangen? Conny konnte es kaum fassen. Die Zeit raste! Aber sie hatte sie genutzt. Dr. Lauterbach, ein bebrillter Mittdreißiger mit bedächtigen Bewegungen und einer sanften, monotonen Stimme, die einschläfernd wirkte, hatte ihr ein Kurprogramm zusammengestellt, das Conny brav befolgte. Gleich morgens, noch vor dem Frühstück, traf sie sich mit Simon Strauber zum Nordic-Walking, danach gingen sie eine Runde Schwimmen und erst dann gönnten sie sich ein vitaminreiches Frühstück, das hauptsächlich aus frischem Obst und Vollkornbrot bestand.
Nach dem Frühstück standen Rückenschule und Gymnastik mit dem Terraband auf dem Plan. Zum Abschluss besuchte Conny die Sauna, schwamm noch mal ein paar Runden und gönnte sich anschließend ein Mittagsschläfchen. Die Nachmittage verbrachte sie mit Simon, der sich in der Umgebung auskannte und sie zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten dirigierte. Seine ruhige, unaufdringliche Art gefiel ihr. Anders als viele seiner Artgenossen versuchte Simon nicht, sie mit Balzgehabe zu beeindrucken. Er machte aus seinen Schwächen kein Hehl, gab offen zu, dass er unter massiver Höhenangst litt und bei "Vom Winde verweht" durchaus ein paar Tränen verdrückte. Sie wusste inzwischen auch, dass er nach einem schweren Unfall mehrere Monate im Krankenhaus und in einer Rehaklinik zugebracht hatte. Seine damalige Freundin hatte erschrocken die Flucht ergriffen, als ihr die Ärzte sagten, dass Simon wahrscheinlich gelähmt bleiben würde. Das hatte ihn zunächst zutiefst deprimiert, aber dann war sein Kampfgeist erwacht und mit dem war es ihm gelungen, den Rollstuhl zu verlassen und letztendlich auch auf die Krücken verzichten zu können.
Seine unbefangene Art hatte es Conny leicht gemacht, auch über ihre Vergangenheit zu erzählen. Simon hatte gelauscht, ab und zu ungläubig den Kopf geschüttelt, sich aber ansonsten jeglichen Kommentars enthalten. Erst, als Conny zum Ende gekommen war, hatte er tief Luft geholt und im Brustton tiefster Überzeugung "Dieser Mann ist ein Idiot!" ausgerufen.
"Du kennst meine Schwester nicht", hatte Conny geseufzt. "Sie ist wirklich sehr hübsch und kann einen unglaublichen Charme entwickeln. Jeder hält sie für einen Engel."
"Mag sein", war Simons Antwort gewesen. "Aber wenn man einen Menschen wirklich liebt, dann können einen solche Äußerlichkeiten nicht beeindrucken." Er hatte die Schultern gehoben, als wenn für ihn das Thema abgeschlossen war. "So lange es zwischen zwei Menschen stimmt, kann kein Dritter sie auseinander bringen."
Dieser Satz hatte Conny zu Denken gegeben. Hatte es zwischen ihr und Elmar etwa nicht mehr gestimmt? Über diese Frage grübelte sie noch immer nach, als sie an diesem Spätnachmittag von einem Stadtbummel durch Füssen zurückkehrte. Im Foyer herrschte Trubel. Eine ausländische Reisegruppe war angekommen, die lautstark den Empfang umlagerte. Sonja Tewes hatte alle Hände voll zu tun, die Fragen zu beantworten und mannigfaltigen Wünsche aufzunehmen.
Conny und Simon beschlossen, die Arme nicht noch zusätzlich zu stressen und erst einmal auf der Terrasse einen Drink zu nehmen, ehe sie ihre Zimmerschlüssel holten. Sie schwenkten nach links, den weit geöffneten Glastüren zu, aber nach ein paar Schritten blieb Conny abrupt stehen. Klaus-Peter entdeckte sie im selben Moment. Ein strahlendes Wiedersehenslächeln auf dem Gesicht kam er mit ausgestreckten Händen auf sie zugeeilt.
"Frau Weyrich, stimmt's?" Er ergriff Connys Finger und hauchte einen vollendeten Kuss auf ihren Handrücken. "Ich freue mich wirklich, Sie zu treffen. Sie sehen einfach zauberhaft aus."
"Oh, danke." Conny errötete über dieses Kompliment. Verzweifelt kramte sie in ihrem Gehirn nach dem Namen des charmanten Herrn, aber er wollte ihr partout nicht einfallen. "Wie – ähem – kommen Sie denn hierher?"
Klaus ließ ihre Hand los und bohrte den Blick seiner dunklen Augen in den ihren.
"Ihr Bericht über dieses Hotel hat mich so neugierig gemacht, dass ich mich nach meiner Reise ganz spontan dazu entschloss, mir auch mal so einen Verwöhnurlaub zu gönnen", spulte er seine vorbereitete Erklärung ab. "Sie sehen, Sie sind schuld an meinem Glück."
"Demnach ist alles gut gegangen und Sie haben Sie Ihren Termin wahrnehmen können?" Conny wandte sich an Simon, der die Szene bisher schweigend verfolgt hatte. "Ich habe diesen netten Herrn auf der A-Drei aufgelesen, als sein
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