Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Graf

Der falsche Graf

Titel: Der falsche Graf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edna Schuchardt
Vom Netzwerk:
verschwunden, da schoss Lydia auf den Hünen zu.
    "Was ist los?"
    Der Mann hob eine beringte Hand an seine Stirn. "Der Kerl lauert da draußen rum."
    "Dann sieh zu, dass er damit aufhört", zischte Lydia wütend. "Wozu bekommst du und deine Leute so viel Geld?"
    "Ist ja schon gut, ich kümmere mich", seufzte der Hüne. Er machte kehrt und verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal zu Lydia herumzudrehen, die ihm unter finster zusammengezogenen Brauen hinterher sah.

11. Kapitel
    Diesmal hatte sich Tante Miene nicht getäuscht. Da draußen schlich tatsächlich ein Typ durchs Gebüsch. Sie warf das Messer mit dem sie gerade Zwiebeln fürs Abendbrot schälte auf die Arbeitsplatte und hastete durch die angelehnte Terrassentür aus der Küche.
    Der Bursche hockte im Gebüsch auf der Westseite des Schlosses. Von hier aus konnte er die Lounge und die Terrasse einsehen. Und er hatte teilweise Blick zu den Balkonen der Gästezimmer. Da Tante ihn nicht vorzeitig auf sich aufmerksam machen wollte, eilte sie zu einem der Seiteneingänge, gelangte von dort über mehrere Flure in die Lounge, ging dann ein Stück die Auffahrt entlang und schob sich schließlich durch das gepflegte Buschwerk in den Park.
    Sie musste ein ganzes Stück zurückgehen, um das Gebüsch zu erreichen, in dem der Spanner saß. Er hatte sich weit in den beinahe mannshohen Rhododendron gearbeitet, der so dicht wuchs, dass Tante Miene Mühe hatte, den Mann darin auszumachen. Zu ihrem Glück und seinem Pech trug er ein rotes Shirt, das zwischen dem dunklen Grün der fleischigen Blätter leuchtete. Tante Miene schlich sich dicht an die engstehenden Büsche heran, schob sie vorsichtig zur Seite und machte einen Schritt vorwärts.
    Der Mann bemerkte sie nicht. Entweder lag es daran, dass er sowieso nicht gut hörte, denn in dem dichten Gewirr aus Ästen und Blättern konnte sich höchstens ein Indianer geräuschlos bewegen. Oder er war so mit seinen Beobachtungen beschäftigt, dass er alle anderen Sinne ausgeschaltet hatte. Tatsache war jedenfalls, dass sich Tante Miene in gebückter Haltung bis auf einen halben Meter vielleicht nähern konnte, ehe er erschrocken herumfuhr. Zwei weit aufgerissene blaue Augen starrten Miene an. Ein jugendliches Gesicht, das alle Farbe verloren hatte, verzerrte sich zu einer angsterfüllten Grimasse. Ein Mund formte die stummen Worte: "Bitte, nicht." Dann schnellte der Junge aus der Hocke heraus nach vorne, aber Tante Miene streckte geistesgegenwärtig den Arm aus und bekam den Saum des roten T-Shirts zu fassen. Der Trikotstoff knirschte gefährlich, als der junge Mann versuchte, trotz des festen Zugriffs die Flucht zu ergreifen. Aber was Tante Miene einmal gepackt hatte, ließ sie nicht mehr so schnell los. Es gab ein kurzes Gerangel, dann gab der junge Mann auf und ließ sich auf den Erdboden sinken.
    "Ich hab nichts Böses gemacht", beteuerte er resigniert. "Ehrlich, ich hab nur hier gesessen und geguckt."
    Tante Miene betrachtete ihn aufmerksam. Der Junge war höchstens achtzehn Jahre alt, ein halbgares Hähnchen, dem noch die ersten Flaumfedern auf der Oberlippe standen. Ängstlich war es, das Hähnchen, total erschrocken und zittrig. Das war keines von diesen Kampfgockeln, denen es egal war, auf wen sie eindroschen. Als er Tante Miene gesehen hatte und erkannte, dass sie seine Oma sein könnte, hatte er seine Gegenwehr sofort aufgegeben. Das rechnete ihm Miene hoch an.
    "Komm", forderte sie schon freundlicher gestimmt. "Wir suchen uns ein Plätzchen, wo du mir alles in Ruhe erzählen kannst?"
    "Aber Sie holen nicht die Polizei, bitte?" Das Hähnchen zitterte jetzt am ganzen Körper.
    "Ach, Jungchen, jetzt snack mal kein' Klönschitt." Tante Miene ergriff energisch seine Hand und zog ihn hinter sich her aus dem Rhododendrengebüsch. Er folgte ihr brav wie ein Hündchen, das gerade etwas furchtbar Verbotenes angestellt hatte und das jetzt sein Herrchen wieder versöhnlich stimmen will. Sie fanden eine Bank direkt am See, das Plätschern der Wellen hatte etwas ungemein Beruhigendes an sich.
    "Und nu' erzähl mal, min Jung", forderte Miene, nachdem sie umständlich Platz genommen hatte. Solche Anschleichnummern durch unwegsames Gelände waren wirklich nichts mehr für ihre alten Knochen. "Was hast du denn in dem Gebüsch gemacht?"
    Der Junge sah düster auf seine Hände, die er auf den Oberschenkeln gefaltet hielt.
    "Meine Freundin wohnt da." Mit dem Kopf machte er eine Bewegung in Richtung Schloss. "Kyrsti Allison, der berühmte

Weitere Kostenlose Bücher