Der falsche Graf
ungefähr?"
Wieder ein Schulterzucken. "Na, was woaß i? Oald eben. Mit'm graua Boart und so 'nem Schlapphut. I woas ned, er war hold jünger ois mei Opa aber älta ois mei Vatta."
Ein Schrei zerriss die Ruhe der Lounge. Alle blickten zu Conny, die leichenblass und stocksteif vor dem Tisch stand. Einzig der Junge behielt die Nerven. Er nutzte die Gelegenheit, sich aus dem Staube zu machen. Niemand achtete auf ihn als er davon sauste, alle starren auf die goldblonde Haarsträhne und den abgeschnittenen Fingernagel, die in dem eilig aufgerissen Päckchen lagen.
"Stammt das von Ihrer Schwester?", fragte Miene leise.
Conny nickte. Tränen liefen ihr über die Wange. "Ja, das sind Jennys Haare." Mit zitternder Hand deutete sie auf den Fingernagel, lila lackiert mit feinen Strasssteinchen verziert. "Sie hat sich das immer bei einer Stylistin machen lassen."
Tante Miene nickte, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. Sie überlegte, wie viel sie den jungen Leuten von ihren Entdeckungen und Verdächtigungen verraten sollte. War es vielleicht nicht sogar besser, überhaupt nichts zu sagen? Aber dann bestand die Gefahr, dass Simon oder Conny ausgerechnet dem Täter gegenüber etwas ausplauderten, was nicht für seine Ohren bestimmt war. Tante Miene beschloss mit offenen Karten zu spielen.
"Setzen Sie sich", bat sie Conny. Die schüttelte zuerst den Kopf, aber als Simon sie mit sanfter Gewalt in den nächstbesten Sessel drückte, gab sie nach. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass zumindest einer der Täter, die Ihre Schwester entführt haben, hier im Hotel wohnt." Tante Mienes Zuhörer wechselten erschrockene Blicke miteinander. Sie wartete, bis sich alle beruhigt hatten, dann fuhr sie fort: "Und zwar handelt es sich meiner Meinung nach um den Graf von Auerbach-Steinfeldt."
"Raimund?" Conny sah die Tante fassungslos an. Die alte Dame nickte bestätigend.
"Ja, genau diesen Herrn meine ich." Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Der Mann hat mir von Anfang an nicht gefallen. Sein ganzes Verhalten wirkte so aufgesetzt, unecht. Aber das alleine ist es nicht, was ihn für mich verdächtig macht. Da wäre zum Beispiel der Einbruch in Ihren Wagen, Frau Weyrich und in der Nacht darauf stieg jemand in Frau Pfisters Zimmer ein. Frage:..." Tante Miene schnellte in ihrem Sessel vor und hob den rechten Zeigefinger. "Weshalb hat der Täter ausgerechnet Ihr Auto durchsucht und alle anderen überhaupt nicht beachtet? Und kann es nicht sein, dass sich der Einbrecher in der Zimmernummer geirrt hat? Ihr Zimmer liegt doch genau neben dem von Frau Pfister, nicht wahr?"
Wieder tauschten Simon und Conny Blicke miteinander, dann sahen sie zu Tante Miene, die mit ihren Ausführungen noch nicht am Ende war.
"Das und viele andere Fragen gehen mir schon die ganze Zeit durch den Kopf. Deshalb bin ich heute nach Füssen gefahren, um im deutschen Adelsregister nachzusehen. Einen Graf Raimund von Auerbach-Steinfeldt konnte ich nicht darin finden." Sie machte erneut eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen. "Und dann noch eins", schoss sie ihre nächste Trumpfkarte ab. "Auf dem Rückweg von der Stadtbücherei habe ich Ihre Schwester gesehen. Sie befand sich in der Begleitung dieses falschen Grafen."
"Mein Gott!" Conny schlug die Hände vors Gesicht. Ein gequältes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Rasch zog Simon sie an seine Brust und strich ihr beruhigend übers Haar.
"Wenn das stimmt..." Seine Miene verriet, was er mit dem falschen Graf tun würde, wenn dieser tatsächlich seine Finger in dem schmutzigen Entführungsspiel stecken hatte.
"Wir müssen jetzt als erstes herausfinden, was der oder die Täter suchen", sagte Tante Miene besonnen. "Das wird uns am besten gelingen, wenn wir uns Herrn von Auerbach-Steinfeldt oder wie immer er auch heißen mag, gegenüber ganz normal verhalten. Ich denke, dass wir Ihre Schwester nur unnütz in Gefahr bringen, wenn wir ihn gleich in die Zange nehmen."
Simon gab ihr Recht. Gespannt lauschte er Tante Mienes weiteren Ausführungen. Sie plante, den Verdächtigen zunächst beschatten zu lassen, eine Aufgabe, die Herr Schmittchen übernehmen sollte. "Er hat Erfahrung darin." Als nächstes galt es, auszumachen mit vielen Tätern sie es zu tun hatten. Allerdings vermutete Tante Miene, dass der falsche Graf alleine arbeitete. Aber bevor sie sich dessen nicht sicher sein konnten, galt es, besondere Vorsicht walten zu lassen.
"Ich nehme nie wieder einen Anhalter mit", prophezeite
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