Der Falsche Krieg
rühren diese Fehler von ideologischen Vorurteilen her: Die Streitkräfte waren nicht auf einen langen Kampf gegen Guerillatruppen vorbereitet, weil nach herrschender Lehre die Hauptgefahr vom Regime Saddam Husseins ausging, dem Tyrannen, der mittels einer mächtigen Armee über ein Volk herrschte, das nur den einen Wunsch hatte, dass von außen ein Befreier kommen möge. Dieser Sichtweise entsprechend musste man intensiv und punktuell eine massive Feuerkraft entfalten, um einen Feind auszuschalten, der zu einer Bedrohung des Weltfriedens erklärt wurde. Anschließend, wenn der Sieg einmal errungen wäre, bräuchte man sich nur zurückzuziehen, denn das irakische Volk, voller Freude und Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern ob seiner Befreiung, würde auf der Stelle sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen und eine rechtsstaatliche Demokratie errichten, die alle Nachbarn vor Neid erblassen ließe. Doch die amerikanische Armee war ein weiteres Mal außerstande, die Nachkriegssituation zu bewältigen, zumal die Wiederaufbaupläne für den Irak nicht funktionierten.
Die Rückkehr zu einer Politik der Eindämmung oder der Vernichtung des Islamismus
Das Scheitern der Demokratisierungspolitik öffnet einer falschen Alternative die Tür: der Rückkehr zu einer Realpolitik, die auf Verhandlungen und Machtdemonstrationen zwischen den Staaten gründet, unabhängig von ihrer Regierungsform (das ist der Leitgedanke des Baker-Berichts vom November 2006). Damit einher geht die Neudefinition eines globalen ideologischen Feindes in Kontinuität zum »Krieg gegen den Terrorismus«, der nun der Islamismus ist beziehungsweise der Islam selbst.
Nach dem Scheitern der Neokonservativen stehen sich in der heutigen Debatte »Realisten« und »kompromisslose Antifundamentalisten« gegenüber. Beide stimmen darin überein, dass es nötig ist, die vorhandenen autoritären Regime zu unterstützen, aber sie begründen das jeweils unterschiedlich. Für die Realisten sind die Ideologien vor allem Maskierungen, die nationale Interessen oder schlichte Machtstrategien kaschieren. Keine Ideologie ist jedoch in der Lage, auf Dauer nationale oder ethnische Identitäten zu überwinden. Deshalb muss gekämpft und/oder verhandelt werden, entsprechend den strategischen Interessen und den Machtverhältnissen vor Ort. Demokratisierung ist ein leerer Begriff, nicht weil man die Demokratie ablehnt, sondern weil man nicht weiß, wie man sie exportieren könnte. Mehrere bekannte Neokonservative wie der ehemalige UNO-Botschafter John Bolton
sind schließlich zu dieser Form des Realismus umgeschwenkt.
Umgekehrt sehen die Antifundamentalisten - egal ob sie von rechts kommen, wie Philippe de Villiers (der Westen ist christlich), oder von links wie Philippe Val (der Westen verkörpert die Säkularisation) - im Islamismus beziehungsweise im Islam sehr wohl eine globale ideologische Bedrohung. Ihrer Ansicht nach wird die Demokratie in der muslimischen Welt erst nach einer mehr oder weniger langen Phase der autoritären Säkularisation möglich sein, während der die Islamisten vernichtet werden.
Realisten und Antifundamentalisten sind sich also darin einig, dass sie für die Unterstützung autoritärer laizistischer Regime plädieren, und lehnen jede demokratische Öffnung ab, die die Islamisten an die Schwelle der Macht bringen könnte. Daher auch die Weigerung, mit der Hamas zu verhandeln, die 2006 die Wahlen gewonnen hatte. Aber die kompromisslosen Antifundamentalisten gehen weiter, sie wollen den Kampf gegen den »Islamismus«, der als die letzte Ideologie dargestellt wird, die noch die abendländischen Werte bedroht. Der amerikanische Präsident Bush hat 2006 in manchen Reden vom »islamischen Faschismus« gesprochen, gleichzeitig am Konzept des Krieges gegen den »weltweiten Terrorismus« festgehalten und es abgelehnt, mit Regimen oder Organisationen zu verhandeln, die vom Außenministerium als »terroristisch« eingestuft wurden. Die Begriffe »Islamismus«, »islamischer Radikalismus«, »Terrorismus« und
»Fundamentalismus« werden also mehr oder weniger synonym verwendet und immer mit der Vorstellung verbunden, dass es einen muslimischen Sonderstatus gibt, eine Besonderheit der Religion, die Gewalt begünstigt.
Deshalb gilt - um noch einmal aufzugreifen, was wir am Anfang dieses Buches gesagt haben -, wenn man einen Feind bekämpfen will, muss man ihn erst identifizieren und sich für eine geeignete Strategie entscheiden. Die mehr oder weniger bewusst
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