Der Falsche Krieg
gesellschaftlichen, strategischen oder einfach politischen Kontext. Anscheinend gibt es dabei nichts zu verstehen, denn verstehen würde schon entschuldigen bedeuten (diesen Gedanken findet man auch in der Diskussion über Kriminalität). Ganz offensichtlich scheren sich die Sicherheits- und Verteidigungsinstitutionen nicht um dieses moralische Verdikt und geben viele Millionen Dollar aus für den Versuch, es doch zu verstehen (und sie selbst werden dabei bestens verstanden!).
Immer wieder stoßen wir auf das Problem zu definieren, was Terrorismus ist, aber um es zu lösen, muss man eher die geostrategische Dimension in Betracht ziehen als die juristische. In rechtlicher und moralischer
Hinsicht kann man Terrorismus definieren als jede Form des gezielten Angriffs auf unschuldige Zivilisten mit der Absicht, auf eine Regierung oder eine Gesellschaft Druck auszuüben. Diese Definition kann zum Beispiel die Grundlage für das Vorgehen gegen die beteiligten Personen abgeben. Doch in politischer und geostrategischer Hinsicht ist eine solche Definition unzureichend, hier muss man die Zielsetzung des Terrorismus berücksichtigen.
Wir haben es heute mit zwei Formen von Terrorismus zu tun: dem Terrorismus einer nationalen Bewegung (wie es bei der IRA in Irland der Fall war und heute bei der baskischen ETA, den Palästinensern und den Tschetschenen der Fall ist) und dem Terrorismus, der sich in einem globalisierten, entterritorialisierten Raum entfaltet (Al Qaida). Ersterer schreibt sich in einen genau umrissenen territorialen Rahmen ein (im Allgemeinen ist es für die beiden Protagonisten derselbe), und er hat klar definierte politische Ziele: einen Staat und ein Staatsgebiet. Der Terrorismus ist hier Mittel und nicht Zweck. Gewalt wird von beiden Seiten ausgeübt, allerdings mit unterschiedlichem Hintergrund, was zu der unendlichen Debatte über die Bezeichnung »Staatsterrorismus« führt. Wenn man den Begriff übernimmt, verschwindet das Konzept des Terrorismus und überlässt das Feld einer beliebigen politischen Gewalt, bei der das einzige Kriterium für »Gerechtigkeit« der juristische Rahmen ist, in dem sie stattfindet. Dass die Mittel und Ziele (zum Beispiel das Verschwinden des Staates Israel, selbst in der abgeschwächten
Version, die lediglich die Beseitigung der jüdischen Identität des Staates vorsieht) für den Staat und die Gesellschaft, gegen die sich der Terrorismus richtet, nicht akzeptabel sind (und darüber hinaus oft auch kontraproduktiv), ändert nichts daran, dass man sich im selben Raum bewegt und für die gleiche Sache kämpft: für Land, für eine nationale Identität und für den Staat. Verhandeln ist immer möglich, und es ist unbedingt wünschenswert. Demgegenüber will der transnationale Terrorismus vom Typ Al Qaida das »System« insgesamt angreifen: Er hat keine konkreten Ziele und setzt sehr viel mehr auf Propaganda als auf Taten. Hier gibt es nichts zu verhandeln, denn man bewegt sich in zwei unterschiedlichen Sphären.
Darum beraubt man sich der Möglichkeit zu handeln, wenn man nicht zwischen primär politischen und primär terroristischen Bewegungen unterscheidet. Man kann unmöglich die ganze Welt angreifen, weil man nicht über das militärische Instrumentarium dafür verfügt: Man kann nicht gleichzeitig gegen Al Qaida, die Taliban, die Hisbollah, die Hamas, gegen Syrien und den Iran Krieg führen (und außerdem noch gegen die Muslimbrüder, die verschleierten Frauen und die Imame in den Vorstädten vorgehen). Gleichzeitig verbietet man sich, die Konflikte in Abhängigkeit von der Bedrohung zu klassifizieren, die sie darstellen, und lehnt es vor allem ab, mit den Bewegungen oder den Staaten zu verhandeln, mit denen man einen Konflikt wirksam beilegen könnte. Oder man verhandelt im Geheimen ganz losgelöst von Prinzipien, nach der Logik
der Geheimdienste, das heißt mit Korruption und Winkelzügen, wie in der Iran-Contra-Affäre (als Personen aus dem Umfeld von Präsident Reagan trotz des Embargos Waffen an den Iran verkauften, um die antisandinistischen »Contras« in Nicaragua zu finanzieren) oder bei bestimmen Verhandlungen über Geiselbefreiungen. Den hehren Worten steht prinzipienloses Handeln gegenüber, was dazu beiträgt, die Idee vom gerechten Kampf zu diskreditieren. Wenn man den Terrorismus so umfassend definiert, dann ist die Aussage, dass es keinen Kompromiss mit Terroristen geben kann, nur ein frommer Bluff. 1956 wurde Nasser noch als »neuer Hitler« gebrandmarkt, und
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