Der Falsche Krieg
zwanzig Jahre später hat man seinen Nachfolger Sadat, der auf einen Frieden mit Israel hinarbeitete, beweihräuchert. In den siebziger Jahren sah man in Arafat einen Terroristen, und 2007 bekam sein Nachfolger Mahmud Abbas Unterstützung gegen die Hamas. Und bald wird man sich dazu durchringen müssen, mit der Hamas und der Hisbollah zu verhandeln, um dem Vormarsch von Al Qaida in den Libanon und nach Palästina Einhalt zu gebieten.
Konkret bedeutet das vor dem Hintergrund der aktuellen Situation im Mittleren Osten: Wenn man die Unabhängigkeit des Libanon wiederherstellen, die Achse Hisbollah-Damaskus-Teheran und die Achse Hisbollah-Hamas zerbrechen will, dann muss man mit einem Teil der Akteure verhandeln. Dabei muss man sich frei machen von ihrer Verortung auf der »Terrorismus«-Skala und sich stattdessen darauf konzentrieren,
sie in die für alle Akteure am ehesten akzeptable und darum stabilste politische Lösung einzubinden. Genau aus diesem Grund führten die Israelis Geheimverhandlungen mit Syrien unter Baschar al-Assad zu einem Zeitpunkt, als die Europäer 2006 das syrische Regime mit einem Bann belegten, weil sie ihm (zu Recht) vorwarfen, verantwortlich für den Mord an dem ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri zu sein. 14
Die Position moralischer Kompromisslosigkeit führt zu Ohnmacht.
Islamismus und Neofundamentalismus
Der Begriff »Islamismus« steht heute im öffentlichen Sprachgebrauch für jede Form des islamischen Radikalismus. Wir sind machtlos gegen Bedeutungsverschiebungen von Wörtern, aber es kann hilfreich sein zu präzisieren, wie man bestimmte Wörter gebraucht. Kommen wir auf die ursprüngliche Vorstellung zurück. Islamismus im strengen Sinn meint nach meinem Verständnis die politische Ideologisierung des Islam nach dem Vorbild der großen politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts (Marxismus, Faschismus, aber nicht der Nationalsozialismus), und das hat mit Terrorismus nichts zu tun.
Das Scheitern des politischen Islam geht nicht auf das Konto seiner militanten Anhänger, sondern betrifft
vielmehr die Ideologie, die hinter der Schaffung eines islamischen Staates steht - wobei mit letzterem ein Staat gemeint ist, der in der Lage sein könnte, effiziente und legitime politische Institutionen zu errichten sowie soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten (bei diesem Modell ist die Scharia den Institutionen untergeordnet). Doch das funktioniert nicht, wie alle Situationen nach einem Sieg gezeigt haben (Iran, Afghanistan), und zwar aus vielfältigen Gründen: Politische und nationale Orientierungen des Denkens und Handelns, sogar ethnische und tribale, gewinnen die Oberhand über die Ideologie; die Gesellschaften werden säkular, weil die religiöse Ideologie in einer Sackgasse steckt. Die Korruption führt den Mythos vom tugendhaften Herrscher ad absurdum und so weiter. Deshalb bleiben den Islamisten nur zwei Möglichkeiten: der Übergang zu einer muslimischen Demokratie in Anlehnung an die christliche Demokratie (aber eher nach bayerischem als nach neapolitanischem Modell) - das ist der Weg, den die Türkei mit der AKP und Ministerpräsident Erdogan beschritten hat; oder die Hinwendung zu einem Neofundamentalismus, der sich weder für den Staat noch für die Nation interessiert, sondern die Transformation des Individuums nach einem rigiden Modell der Religion vorantreibt, die als strikte Anwendung der Scharia definiert wird.
Der Neofundamentalismus war zunächst eher antikommunistisch als antiwestlich und radikalisierte sich im Gefolge des Post-Islamismus, indem er die militante antiwestliche Tradition aufnahm, die bei den Islamisten
verblasste. Er umfasste gleichermaßen die afghanischen Taliban und Al Qaida, den saudischen Wahhabismus (jene Ende des 18. Jahrhunderts von Abdul Wahhab begründete buchstabengläubige Schule, die sich mit der Saud-Dynastie verbündet hat), die Salafisten jeglicher Couleur, die einzig auf den Koran und die Worte des Propheten rekurrieren wollen, die 1926 gegründete Tabligh-Bewegung, die die Muslime zum »wahren« Islam zurückführen wollte, und so weiter. Dieser per definitionem entterritorialisierte und dekulturierte Neofundamentalismus passt perfekt zur Globalisierung, und das erklärt seinen Erfolg.
Zwei Richtungen sind zu unterscheiden: Eine konservative, apolitische, aber in kultureller Hinsicht separatistische Richtung hängt dem Konzept des Multikulturalismus an. Eine zweite dschihadistische Richtung
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