Der Falsche Krieg
nimmt das Erbe der antiimperialistischen Gewalt der europäischen extremen Linken auf, kann aber auch Gemeinsamkeiten mit einer antisemitischen und antimodernistischen extremen Rechten finden. Die dschihadistische Radikalisierung betrifft die »Entterritorialisierten«, das heißt jene, die ihr Handeln nicht in einem nationalen, territorialen Rahmen verorten. Das ist das Modell Al Qaida.
Natürlich existieren keine hermetischen Grenzen zwischen diesen Strömungen, und die Wege von Einzelnen können in die eine Richtung (zur Demokratie: Erdogan) oder in die andere (zum Terrorismus: Ayman al Zawahiri) führen. Aber es wird keine Demokratisierung der muslimischen Welt geben ohne Integration der
Islamisten, die sich für den ersten Weg entschieden haben, den Weg der politischen Integration und der Demokratie. Was immer man ihnen unterstellt, stets wird dabei übersehen, dass ein Politiker weniger durch festgefügte Überzeugungen bestimmt ist als durch die Verinnerlichung der politischen Spielregeln. Man muss wählen zwischen Erdogan und den Taliban.
Für die Verfechter einer durch und durch laizistischen Demokratie besteht das Problem darin, dass gegenwärtig eine demokratische Alternative zu den gemäßigten Islamisten nicht in Sicht ist. Wenn wie im Maghreb die Spannung zwischen Laizisten und Islamisten groß ist, neigen Erstere eher dazu, sich starken Regimen anzuschließen oder ins Exil zu gehen. Im Mittleren Osten hingegen ist diese Spannung praktisch verschwunden: Der Konflikt zwischen Hamas und Fatah hat keinen ideologischen Charakter, dabei stehen sich nicht zwei verschiedene Modelle für eine palästinensische Gesellschaft gegenüber. Die laizistischen Nationalisten gehören zum selben Lager wie die Islamisten. Anders gesagt: Die Kluft hat nichts mit der Scharia zu tun. Ob im Libanon, wo die Christen unter General Aoun sich mit der Hisbollah verbündet haben, oder in Palästina, wo Christen sich den Sunniten angenähert haben, in der Türkei, wo die nationalistische extreme Rechte die radikal antiwestliche Gewalt verkörpert, im Irak, wo die Kluft zwischen Schiiten und Sunniten verläuft oder zwischen Kurden und Arabern, aber jedenfalls nicht zwischen Laizisten und Islamisten: Immer gehorchen die Konflikte einer Logik, die nicht viel mit Ideologie
zu tun hat. Im Mittleren Osten ist nicht ein einziger Konflikt durch den Gegensatz von Laizisten und Islamisten zu erklären. Dass nationalistische Intellektuelle in Pakistan und Ägypten im Namen von Authentizität und aus dem Widerstand gegen westliche Einflüsse heraus mit islamistischen Bewegungen liebäugeln, ist verblüffend: Die Mehrheit der pakistanischen Intellektuellen hat das amerikanische Vorgehen gegen die Taliban abgelehnt; in Ägypten haben nur wenige Intellektuelle gegen den »Homosexuellen«-Prozess im Jahr 2005 protestiert, aber viele haben ihr Unverständnis über das französische Verbot, an Schulen einen Schleier zu tragen, zum Ausdruck gebracht. Indem die Fundamentalisten und die autoritären Regime die Verbote als Verteidigung kultureller und sozialer Werte und nicht als eine rein religiöse Norm definieren, mobilisieren sie eine Öffentlichkeit, die weit über die islamistische Basis hinausgeht. Kurzum, man kann die Liste dieser Beispiele beliebig verlängern, doch nirgendwo im Mittleren Osten finden wir die Situation, dass sich Islamisten einerseits und laizistische Demokraten andererseits in einem Konflikt gegenüberstehen. Wer jedoch Fernsehtalkshows in Europa ansieht, kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass dies die dominierende Spaltungslinie sei.
Die Verfechter der Realpolitik wie die Anhänger des autoritären Laizismus sind mit dem Problem einer strukturellen Schwäche laizistischer Diktaturen konfrontiert. Diese verschärfen existierende Spannungen, weil sie jede Möglichkeit eines dritten Weges zwischen
Diktatur und Islamismus verhindern. In dem Spiel »Ich oder der Islamismus« erscheinen die Islamisten der Bevölkerung bald als die einzige glaubwürdige Opposition. Laizistisch-diktatorische Regime sind nicht länger Bollwerke gegen eine Islamisierung, die sich immer öfter demokratisch gibt (Tunesien, Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten). Zudem zögern sie nicht, selbst auf die islamistische Karte zu setzen und konservativen Ulemas entgegenzukommen, obwohl sie die äußeren Zeichen des Islam ablehnen (Verbot des Schleiers in Tunesien). Sie beeinträchtigen die wirtschaftliche Entwicklung, weil die Korruptheit der herrschenden
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