Der Falsche Krieg
heran -, ist es zu spät: Man kann nur noch auf die »Verräter« zeigen, die den Wolf in den Schafstall hereingelassen haben. 16
Welche geostrategische Wirkung hat die Etablierung des Islam in Europa? Unter diese Frage fällt alles, was eine Kontinuität, eine bestimmte Art von Verbindung zwischen dem Mittleren Osten und Europa herstellen würde, die Ersterem zum Vorteil gereichen würde: etwa der Import des israelisch-palästinensischen Konflikts, der »fünften Kolonne« des Islamismus oder die Rolle nationaler Diasporas bei Spannungen und
Konflikten etc. Denn die Re-Islamisierung stärkt nicht die organischen Verbindungen zu Gruppen und Ländern des Mittleren Ostens, sondern fördert eine deterritorialisierte religiöse Identität, die sich gerade dem Zugriff der muslimischen Staaten entzieht. Die jüngsten Ereignisse in Frankreich haben gezeigt, dass die Rede von der »Intifada der Vorstädte« ein Mythos ist: Nicht eine einzige palästinensische Fahne wehte in den Vorstädten, und bei den Unruhen 2005 tauchte auch kein Koran auf. Zu den sehr seltenen pro-palästinensischen Kundgebungen in Paris erscheinen stets weniger als 15 000 Leute, darunter ein Gutteil ergrauender Altlinker, obwohl in der Hauptstadt und ihrer Umgebung Hunderttausende, gar Millionen Menschen leben, die sich als Muslime bezeichnen könnten. Der Mittlere Osten bewegt die muslimische Bevölkerung in Frankreich nicht, hingegen sehr stark diejenigen, die sich über die muslimische Bevölkerung aufregen.
Man muss aufhören, von einer Diaspora zu sprechen. Die zweite und die dritte Immigrantengeneration verlieren die Sprache und die Kultur ihrer Herkunftsländer. Das Überraschende an dieser Entwicklung ist, dass die Tendenz nicht immer in Richtung Assimilierung geht, sondern auch der Herstellung einer »Glaubensgemeinschaft« dient, die auf einer virtuellen Umma gründet, einer Radikalisierung, die trotzdem nicht die Bindungen der Diaspora reaktiviert. Die jungen Radikalen von heute haben fast nie organische Verbindungen zu dem »Dschihad«, dem sie sich anschließen. Nicht ein junger Franzose algerischer Herkunft hat mit
den »Groupes Islamiques Armés« (GIA) in Algerien im Untergrund gekämpft, sie sind lieber nach Bosnien gegangen, nach Tschetschenien oder Afghanistan. In Großbritannien empörten sich Pakistani und zum Islam Konvertierte über Tony Blairs Politik gegenüber der arabischen Welt. Unter den Attentätern, die im Westen aus Protest gegen die westliche Präsenz in Palästina, in Afghanistan und im Irak Anschläge verübten, war nicht ein Palästinenser, Afghane oder Iraker. Der überproportional hohe Anteil von Pakistanis in den britischen Dschihad-Bewegungen hängt natürlich damit zusammen, dass die britischen Muslime vorwiegend vom indischen Subkontinent stammen. Aber der eigentliche Grund liegt darin, dass Pakistan sich nicht über das Modell eines an ein bestimmtes Gebiet gebundenen Nationalstaats definiert: Pakistan ist ein ideologischer Staat, der es verstanden hat, seine Bürger für transnationale Themen zu mobilisieren.
Der Großteil der Muslime in Europa will die Integration. Für die britische Ausnahme 17 gibt es unterschiedliche Erklärungen: Das Bündnis mit der extremen Linken, die Wichtigkeit des pakistanischen Paradigmas, das Gewicht der faith schools (»konfessionellen Schulen«) im Bildungssystem, die Politik des Multikulturalismus, die tatsächlich zu einer »separaten« Identität geführt hat … Das hat insofern mehr mit britischen (und pakistanischen) Besonderheiten zu tun als mit dem Islam.
Erstaunlicherweise stellen die europäischen Regierungen, die einen europäischen Islam beschwören (und
nicht einen Islam in Europa), unaufhörlich Verbindungen zwischen »ihren« Muslimen und dem Mittleren Osten her und bestätigen damit deren Status als Ausländer. Die französische Regierung hat erst den »Conseil français du culte musulman« (CFCM, Französischer Rat für muslimische Religionsausübung) als Organ des Islam in Frankreich ins Leben gerufen und sich dann mit marokkanischen Vertretern zusammengetan, um die Wahlen zum Rat im Jahr 2005 zu beeinflussen. Französische Minister sind nach Kairo gereist und haben um eine Fatwa ersucht, die das Gesetz über den Schleier aus dem Jahr 2004 gutheißen sollte. Im Jahr 2005 hat dieselbe Regierung den CFCM in den Irak geschickt, damit er dort über die Freilassung der französischen Geiseln verhandelte. Im so genannten Karikaturenstreit hat die dänische
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