Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Roy
Vom Netzwerk:
Regierung vergeblich versucht, ihren diplomatischen Apparat zu mobilisieren, ohne sich vorher mit den Muslimen in Dänemark zu beraten. Bis Ende der neunziger Jahre war in Holland für junge Immigranten der zweiten Generation Unterricht in der Sprache ihres Herkunftslandes obligatorisch. Die spanische Regierung hat das Konzept vom »Dialog der Kulturen« aufgenommen, ohne zu erkennen, dass es auf den gleichen Prämissen beruht wie das Konzept vom Zusammenprall der Kulturen (jede Kultur gründet demnach auf einer Religion, und jede Religion drückt sich in einer Kultur aus). Kurzum, die europäischen Regierungen fragen sich, welche Folgen eine Diaspora haben wird, die im Westen zunehmend präsent ist, aber mit den westlichen Werten angeblich nichts anfangen
kann. Zugleich sind die Regierungen selbst alles andere als eindeutig in ihrem Sprechen über und dem Umgang mit der Frage der Staatsbürgerschaft.
     
    Wir sind inzwischen weit von den ursprünglichen Besorgnissen der amerikanischen Neokonservativen entfernt, die zumindest an die Universalität der Werte glaubten. Heute dreht sich die Diskussion um die Vereinbarkeit des Islam mit, je nachdem, der Demokratie, den abendländischen Werten, den Menschenrechten (respektive den Rechten der Frau), dem Laizismus und so weiter. Aber oft ist es nur ein kleiner Schritt von dieser Problematik zu der anderen: der Vereinbarkeit der Muslime mit Europa. In der Rede von »Eurabia« verbindet man die Muslime Europas mit Konflikten im Ausland, die sie selbst indes gar nicht beschäftigen.
    Die aktuelle Geostrategie kennt weder geografische noch kulturelle Einschränkungen. Oft wirkt sie wie eine »sich selbst erfüllende Prophezeiung«, weil sie ein Fantasiegebilde in Politik verwandelt und somit dem neuen essentialistischen Dogma Realität verleiht - einem Dogma, das vom Stammtisch bis ins ministerielle Kabinett reicht und heute sogar bis hin zu Personen, die sich gerne als Philosophen bezeichnen.
    Es steht außer Frage, dass der 11. September 2001 unsere Welt verändert hat, aber nicht in dem Sinne, dass er das Auftauchen einer neuen Kraft oder neuen Macht markiert hätte. Der 11. September war weder das Attentat von Sarajevo noch die Erstürmung des Winterpalasts durch die Bolschewiken, noch der Reichstagsbrand
von 1933, denn bei all diesen Attentaten standen sich staatliche Mächte gegenüber, denen es um die Eroberung von Land ging. Die faschistische, die nazistische und die kommunistische Ideologie dienten jeweils dazu, die Bevölkerung für den Krieg zu mobilisieren; sie wurden durch staatliche Apparate instrumentalisiert, und Sympathisanten im Ausland spielten die Rolle einer fünften Kolonne oder benutzten ihrerseits die Ideologien, um einen eigenen Nationalismus zu entwickeln. Die wahren Internationalisten hingegen konnten ihre Ideale niemals durchsetzen und starben als Märtyrer, Verräter oder Statisten. Und wenn Befreiungsbewegungen sich einer Ideologie bemächtigten, wie beispielsweise des Marxismus und später des Islamismus, dann agierten sie ebenfalls aus einer nationalistischen, staatlichen und territorialen Perspektive.

ZWEITES KAPITEL
    Der Mittlere Osten: Zersplitterung der Konflikte und neue Bruchlinien

    Das Bild, dem zufolge sich die muslimische Welt im Krieg mit dem Abendland befindet, ist eine Ausgeburt der Fantasie. Eine solche »muslimische Welt« existiert nicht. Der Großteil der Konflikte im Mittleren Osten wird zwischen Muslimen ausgetragen. Die bestehenden Regime verstehen sich mehrheitlich als Verbündete des Westens. Das erklärt im Übrigen auch, warum der Iran unter Präsident Ahmadinedschad nach Verbündeten unter den lateinamerikanischen Populisten sucht und nicht bei seinen Nachbarn.
    Die Islamisierung wird nur dann zu einem strategischen Faktor, wenn sie sich mit einer weiteren Determinante überschneidet, im Allgemeinen einer nationalistischen (wie im Falle der Hamas oder des Iran), einer ethnischen oder einer tribalistischen (für die Taliban treffen alle drei Punkte zu). Die Komplexität des Spiels der Allianzen widerlegt die demagogische Simplifizierung, die das Schlagwort vom »weltweiten Krieg gegen den Terrorismus« impliziert.
    Im Irak unterstützen die Amerikaner bereitwillig eine Regierung, die ihrem ärgsten Feind, dem Iran, nahesteht. Al Qaida hat sich in ein vermeintlich mit dem Westen verbündetes Land, Pakistan, zurückgezogen, das geradezu unverhohlen den Taliban in ihrem Krieg gegen das neue, von der internationalen

Weitere Kostenlose Bücher