Der Falsche Krieg
wie der Iran, Saudi-Arabien und Pakistan mit verschiedenen Formen des Panislamismus.
Aber das Umgekehrte trifft nicht zu. Den Muslimbrüdern ist es nicht gelungen, sich des arabischen Nationalismus zu bemächtigen. 2 Nach 2003, im Anschluss an den amerikanischen Einmarsch in den Irak, konnte man beim Salafismus einen ähnlichen Versuch beobachten, den arabischen Nationalismus für sich zu gewinnen, als Tausende arabische Freiwillige versuchten, nach Falludscha zu gelangen. Und angesichts des komplexen Spiels zwischen der pakistanischen Regierung und den radikalen Bewegungen, die von Pakistan aus agieren, kann man sich durchaus fragen, wer wen instrumentalisiert: der Nationalstaat, der bei seiner Regionalpolitik auf die Radikalen setzt, oder die Radikalen, die sich hüten, einen offiziell mit den Vereinigten Staaten verbündeten Staat zu zerstören, der ihnen, eben weil er mit Amerika verbündet ist, Schutz vor Amerika bietet? Wir müssen uns deshalb der Dialektik der Beziehungen zwischen Nationalismus und Internationalismus zuwenden.
Das nationalistische Auftreten ist sehr ambivalent, denn es operiert an der Schnittstelle zwischen einem Gefühl lokaler Zugehörigkeit - syrisch, irakisch, libanesisch, ägyptisch und sogar saudisch 3 - und einem Gefühl supranationaler panarabischer Identität. Der staatliche Rahmen, der oft noch aus der Kolonialzeit stammt, wird von der jeweiligen regionalen Bevölkerung zugleich beansprucht und abgelehnt. Die Konflikte sind strukturell, insofern sie in die Geburtsurkunden der betroffenen Länder eingeschrieben sind. Im Allgemeinen haben sie keine lange Vorgeschichte (bis
auf den Konflikt über die Grenze des Iran mit seinen sunnitischen Nachbarn, die im 17. Jahrhundert fixiert wurde) und reichen bis in die beiden Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts zurück: in die zwanziger Jahre und ans Ende der vierziger Jahre, als die Länder unabhängig wurden und die Kolonialmächte sich zurückzogen. Darum wird die nationalistische Renaissance in vielerlei Hinsicht schizophren erfahren, und das umso mehr, als der Staat hier wie anderswo unter den wirtschaftlichen, kulturellen und humanitären Auswirkungen der Globalisierung leidet. In einer solchen Konstellation flüchtet sich die Identität häufig in eine kulturelle Fantasiewelt, und dort ist der Islam sehr erfolgreich, sofern er sich über das panarabische Ideal stülpt. Wir erleben also die Islamisierung des Arabismus.
Ethnien, konfessionelle Gruppen und Stämme
Das Problem wird zusätzlich kompliziert dadurch, dass in vielen Staaten Spaltungslinien zwischen einzelnen Gruppen verlaufen, die religiöser Natur sein können (Libanon, Irak, Syrien, aber auch Kuwait, Saudi-Arabien, Bahrain), ethnischen Ursprungs (Pakistan, Afghanistan, Irak) oder einfach von Stammesgegensätzen herrühren (Somalia, Jemen). Auch diese Gruppen neigen zur Internationalisierung oder zumindest dazu, sich internationalen Netzen anzuschließen.
»Tribalismus« im weiteren Sinn erscheint oft als
ein geschlossenes, traditionelles System, wo die Treuepflichten ganz allein von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe abhängen. Natürlich spielt das bei lokalen Solidaritätsbeziehungen und Konflikten eine Rolle. Die Rivalitäten zwischen Schiitenstämmen im Irak, zwischen bedeutenden Maronitenfamilien im Libanon oder zwischen Alewitenclans in Syrien muss man genauso in Rechnung stellen wie die transversalen Solidaritäten, die Schutz und Kooperation zwischen den Mitgliedern einer Gruppe sichern können, wenn diese gegensätzlichen politischen Lagern angehören.
Aber die Stämme sind zur Welt hin offen. Das Stammessystem verschwindet nicht, es passt sich der Globalisierung und den supranationalen Ideologien an. Ein wiederkehrendes Phänomen ist die Islamisierung von Stammesgruppen: afghanische und pakistanische Paschtunen, somalische Clans, jemenitische Stämme. Auch hier erklärt sich der Vormarsch des Islamismus durch Veränderungen in den traditionellen Gesellschaften. Im Jemen wie in Afghanistan und in Pakistan, sicher auch in Saudi-Arabien, sind die religiösen Kräfte, die Mullahs und Scheichs, an die Stelle der traditionellen Stammeshonoratioren getreten, ohne dass man deshalb von sozialen Konflikten sprechen könnte. Gleichzeitig erlaubt die Berufung auf die Scharia, dass man weiterhin dem Zentralstaat Widerstand leisten kann, aber jetzt nicht mehr lokal und reaktiv, im Namen von Besonderheiten und traditionellen Gebräuchen, sondern im Gegenteil, indem
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