Der Falsche Krieg
Fatah nicht aus religiösen Gründen, sondern weil sie angeblich die Interessen des palästinensischen Volkes verraten hat. Die libanesische Hisbollah hat ihren Kampf im Süden des Landes immer als Kampf um die Befreiung des Staatsgebietes dargestellt. Die algerische »Front Islamique du Salut« (FIS) nimmt für sich in Anspruch, die »echte« »Front de Libération Nationale« (FLN) zu sein, die gegen die Franzosen gekämpft hat. Die Muslimbruderschaft war immer in nationale Gruppen gespalten und Lichtjahre vom Fantasiegebilde einer »islamistischen Internationale« entfernt. Und bei der irakischen Invasion in den Iran im September 1980 hat nicht ein einziger militanter arabischer Islamist für die islamische Revolution Partei ergriffen. Zehn Jahre später, beim Golfkrieg von 1991, vertraten die Muslimbrüder klar die Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer: Die Jordanier verurteilten den Hilferuf an die westlichen Streitkräfte, die Kuwaiter billigten ihn.
Der politische Rahmen ist in erster Linie national definiert. Überall ist das Staatsangehörigkeitsrecht sehr restriktiv, der Status von Flüchtlingen prekär, auch wenn sie Araber und Muslime sind. Überall neigen die staatliche Logik und die populäre Demagogie zur Ausgrenzung des anderen, mag er auch Muslim sein. Die Palästinenser im Libanon, die Afghanen im Iran, die Menschen aus Mali in Libyen: Sie alle haben diese bittere
Erfahrung gemacht. Im Iran gilt für einen schiitischen, Persisch sprechenden Afghanen, der eine Iranerin heiraten will, dasselbe aufwändige Verfahren wie für einen nicht-muslimischen Europäer, der zumindest theoretisch konvertieren muss. In den Emiraten am Golf ist zu beobachten, dass die staatlichen Behörden und die öffentliche Meinung sich darüber empören, es würden zu viele Ehen mit »ausländischen« Frauen geschlossen (denn die Brautpreise für die »eigenen« Frauen sind nicht mehr erschwinglich). Nur Jordanien hat die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 integriert. Die gleichen Menschenmassen, die in Kairo für Palästina auf die Straße gingen, würden vehement gegen das Ansinnen protestieren, die ägyptische Staatsbürgerschaft auf palästinensische Flüchtlinge auszudehnen. Bei der amerikanischen Intervention im Irak wiederholt sich das Muster: Man bekundet Solidarität mit den Irakern in ihrem Kampf gegen die Amerikaner, aber die zwei Millionen irakischen Flüchtlinge, die sich in anderen arabischen Ländern niederlassen wollen, stoßen bei der lokalen Bevölkerung auf Ressentiments.
Die nationalen Konflikte können sich offensichtlich im gesamten Großraum Mittlerer Osten entlang wechselnder ideologischer Einkleidungen artikulieren. Der Zionismus wie auch die Palästinenserbewegung haben sich von Anfang an als laizistische nationalistische und nicht als religiöse Bewegungen verstanden. Im ersten Krieg zwischen Somalia und Ogaden standen sich 1976 zwei sozialistische Regime, beide Verbündete der Sowjetunion, gegenüber. Die äthiopische Intervention in
Somalia zur Beseitigung der islamischen Gerichte im Dezember 2006 stellte sich zwar als Kampf gegen den Islamismus dar, aber tatsächlich ging es wieder um nationalistische Inhalte. Die Islamisierung des Widerstands in Kaschmir wurde von Pakistan seit den achtziger Jahren unterstützt, und zwar mit der dezidierten Absicht zu verhindern, dass sich ein kaschmirischer Nationalismus entwickelt, der gegen den Anschluss der Provinz an Pakistan wäre oder der auf Kosten von Pakistan einen Kompromiss mit Indien suchen könnte. Schließlich hat die 1979 gegründete Islamische Republik Iran den Konflikt mit dem Irak unter religiösen Vorzeichen gedeutet - ein Konflikt, der zur Zeit des Schah-Regimes bereits latent schwelte, damals aber als Konfrontation zwischen Persern und Arabern gesehen wurde. Anlässlich des Krieges zwischen Irak und Iran hat Imam Khomeini das Schlagwort geprägt, »der Weg nach Jerusalem geht durch Kerbela«, was so viel bedeutet wie: Bevor man Israel bekämpfen kann, muss man erst Saddam Hussein loswerden. Eben aus diesem Grund lehnten sunnitisch-arabische islamistische Bewegungen wie die Muslimbrüder es ab, den islamischen Iran gegen konservative arabische Regime zu verteidigen, obwohl sie dort unterdrückt wurden.
Im Übrigen haben die Staaten es durchaus verstanden, die Ideologien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren - wie es Ägypten unter Nasser oder Syrien und der Irak unter dem Baath-Regime mit dem Panarabismus gemacht haben, genau
Weitere Kostenlose Bücher