Der falsche Mann
Donnie in einer Kirche sah. Ramini ging fast jeden Sonntag. Er hatte sich nie ernsthaft gefragt, warum.
Donnie wirkte nicht glücklich. Warum auch? Zwei von Paulie Capparellis besten Männern, Sal und Augie, waren bei dem Versuch, Kolarich zu erledigen, in dieser Gasse gestorben.
» In der Adventszeit sollten wir uns selbst Fragen stellen«, fuhr Pater DiGuardi fort. » Hören wir wirklich zu? Sind wir wach und aufmerksam? Blicken wir auf das, was sein wird – oder sind wir bereits dort?«
Die Zeit zwischen der Predigt und der heiligen Kommunion dehnte sich wie die Wanderung von Mose und den Israeliten durch die Wüste Sinai. Aber irgendwann standen die Kirchgänger aufgereiht da und schlurften nach vorne, um Brot und Wein zu empfangen.
Weder Ramini noch Donnie hatten sich erhoben. Sie saßen in der letzten Bank, niemand hinter ihnen und im Augenblick auch niemand vor ihnen.
Donnie zog einen Schokoriegel aus seiner Jacketttasche, wickelte ihn aus und biss hinein.
» Don, um Himmels willen. Wir sind hier in einem Gotteshaus.«
Was Donnie nicht weiter zu kümmern schien. Er beugte sich zu Ramini hinüber. » Du willst noch abwarten mit Kolarich?«, fragte Donnie. » Paulie sagt, das ist okay. Für den Augenblick warten wir ab.«
Ramini nickte.
» Für den Augenblick«, wiederholte Donnie. » Bist du sicher, dass Kolarich Sal und Augie selbst getötet hat?«
» Ganz sicher«, sagte Ramini. » Wer soll es sonst getan haben?« Er blickte zu Donnie. » Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen, Don.«
Ramini musste dem Boss irgendeine halbwegs glaubwürdige Geschichte auftischen. Die Wahrheit zu erzählen, kam nicht infrage. Natürlich würde Paulie sich skeptisch zeigen – schließlich war Kolarich nur irgendein Anwalt, kein trainierter Killer, der mühelos zwei Angreifer ausschaltete –, aber letztendlich würde Raminis Vertrauensbonus bei Paulie überwiegen. Ramini hatte sich Respekt verdient. Allerdings wusste er, sein Konto war bald überzogen.
» Für den Augenblick warten wir«, sagte Donnie. » Aber zwei Punkte, Petey. Okay?«
» Okay, zwei Punkte.«
» Erstens: Wenn du das Gefühl hast, der Anwalt rückt uns zu sehr auf die Pelle, kein Abwarten mehr. Und selbst wenn du ihn im beschissenen Gerichtssaal erschießen musst, dann tust du’s. Klar?«
» Klar. Und zweitens?«
» Zweitens«, sagte Donnie. » Wenn die ganze Sache vorüber ist, der Prozess und was weiß ich, ist immer noch eine Rechnung offen. Paulie ist nicht wirklich zufrieden, verstehst du? Sal und Augie waren gute Verdiener. Niemand tötet zwei unserer Jungs und kommt ungeschoren davon. Das dürfen wir nicht dulden. Klar?«
Donnie vertilgte den letzten Bissen seines Schokoriegels und zerknüllte die Verpackung in seiner Hand. Die Gläubigen kehrten zu den Bänken vor ihnen zurück, daher mussten sie ihr Gespräch beenden.
Ein letztes Mal beugte Donnie sich zu Ramini hinüber. » Was passiert, wenn der Prozess vorbei ist, Pete?«
Ramini seufzte. » Kolarich stirbt«, sagte er.
» Und wenn er nicht stirbt, wer stirbt dann?«
Ramini nickte. » Ich«, sagte er.
» Du und alle, die du liebst, Pete. Du kennst die Regeln.« Donnie tätschelte Raminis Knie, dann verließ er die Kirche.
64
Richter Nash brüllte Wendy Kotowski und mich schon an, bevor wir ans Pult getreten und unsere Vorverfahrensanträge erläutert hatten. Er fand, es waren viel zu viele Einreichungen. Natürlich hatte er recht, aber die insgesamt einunddreißig Anträge überstiegen keinesfalls das übliche Maß. Ich hoffte, sein Zorn würde sich hauptsächlich auf die Staatsanwaltschaft richten, die technisch gesehen mehr eingereicht hatte als ich, aber das war leider reines Wunschdenken.
Vor ein paar Jahren hatte Richter Nash ein strenges Limit bei Vorverfahrensanträgen eingeführt. Doch das Berufungsgericht hatte ihm das nicht durchgehen lassen. Bei Strafprozessen greift unter anderem das Verfassungsrecht, das Menschen davor schützt, ungerechtfertigt ins Gefängnis geworfen zu werden, und aus Sicht der Verfassung ist es nicht tolerierbar, die Anzahl von entlastenden Argumenten einzuschränken, wenn die Freiheit eines Beklagten auf dem Spiel steht.
Was keineswegs bedeutete, dass Richter Nash diese Sichtweise teilte. Aus seinem offiziellen Limit wurde ein inoffizielles, und wenn Anwälte es überschritten, bekamen sie das zu spüren.
Der Richter begann Entscheidungen hinauszubellen. Ohne unsere Argumente anzuhören, lediglich auf Basis der eingereichten Unterlagen,
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