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Der falsche Mann

Der falsche Mann

Titel: Der falsche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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artikulieren konnte, geschweige denn, dass er einer Jury Dinge hätte erzählen können, die er noch nicht einmal mir verraten hatte. Und ich konnte ihn nicht in den Zeugenstand rufen, ohne ihm die entscheidende Frage zu stellen – hatte er Kathy Rubinkowski erschossen? Worauf Tom antworten würde: Ich erinnere mich nicht.
    In seinem Käfig murmelte Tom vor sich hin. Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging.
    Dabei war sonnenklar, was hier vor sich ging – sie hackten uns die Eier ab.
    Angesichts der aktuellen richterlichen Entscheidungen hatte sich jede bisherige Verteidigungsstrategie in Luft aufgelöst. Weder konnte ich erklären, wie Tom an die Mordwaffe gekommen war noch wie er die Handtasche und die übrigen persönlichen Gegenstände des Opfers in seinen Besitz gebracht hatte. Es gab ein Videoband mit einem vermeintlichen Geständnis meines Mandanten, aber ich hatte keine Chance, der Jury zu erläutern, dass es gar kein Geständnis war.
    Jetzt konzentrierte sich alles auf Randall Manning, Stanley Keane, Bruce McCabe und den Capparelli-Clan. Mir blieben noch einige wenige Tage, um etwas über deren Mache nschaften herauszufinden, sonst würde Tom Stoller verurteilt.
    Vorausgesetzt, ich blieb überhaupt lange genug am Leben, um dieses Rätsel lösen zu können.
    Davon mal abgesehen, lief es eigentlich richtig gut.

Buch II
    Dezember

65
    Die Partie war eröffnet. Dreißig Menschen, in einen engen Raum gepfercht. Einige davon würden über Tom Stollers Schicksal entscheiden. Andere würden vom Richter wegen triftiger Gründe abgelehnt, wieder andere von der Staatsanwaltschaft oder von mir ausgeschlossen.
    » Geschworene Nummer sieben«, sagte ich zu der Frau in der ersten Reihe. » Der Zivilprozess, bei dem Sie als Geschworene fungierten – da drehte es sich im Wesentlichen um Geld, sehe ich das richtig?«
    » Das stimmt«, sagte sie. » Sie forderten Geld. Aber am Ende spielte es keine Rolle, weil wir zugunsten des Angeklagten entschieden.«
    » Ich mag Sie jetzt schon«, sagte ich und erntete einen Lacher. » Ich vermute, in diesem Fall war die Beweislast ausschlaggebend? Es war mehr als wahrscheinlich, dass sich jemand schuldig gemacht hatte?«
    » Das ist wohl richtig.«
    » Und wissen Sie auch, Ma’am, dass bei einem Strafprozess die Beweislast so erdrückend sein muss, dass kein begründeter Zweifel an der Schuld des Angeklagten mehr besteht?«
    » Das weiß ich.« Jeder wusste das.
    » Der übliche Standard für die Beweislast ist ›mehr als wahrscheinlich‹ – also eine Wahrscheinlichkeit von einundfünfzig Prozent.« Ich hielt meine Hand auf Höhe meiner Hüfte. » Eine ohne jeden begründeten Zweifel bewiesene Schuld dagegen bedeutet weit mehr als ›höchstwahrscheinlich hat er es getan‹ – es bedeutet vielmehr: ›Ich bin mir so sicher, dass er es getan hatte, dass es keinen begründeten Zweifel daran gibt‹.« Ich hob die Hand so weit über den Kopf wie möglich. Ein Gipfel verglichen mit einem Tal. Ein Wolkenkratzer verglichen mit einer Hundehütte. Vermutlich würde es nur eine Nanosekunde bis zu Wendy Kotowskis Einspruch brauchen.
    Es brauchte eine ganze Sekunde. Dem Einspruch wurde stattgegeben.
    Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Vier kurze Vibrationsstöße, also ein Anruf und keine SMS . Ich berührte das Handy, um ganz sicher zu sein, konnte aber im Moment nicht drangehen.
    » Worauf ich hinauswill: In unserem Alltagsleben beurteilen wir Dinge nicht nach dem Standard begründeter Zweifel«, sagte ich. » Wir sehen am Straßenrand jemanden in Handschellen neben einem Polizeibeamten und denken automatisch, er hat sich was zuschulden kommen lassen. Richtig? Mir geht es jedenfalls so. Ich gehe davon aus, dass sie Drogen in seinem Auto gefunden haben oder dass er betrunken am Steuer saß. Aber würde mir irgendjemand von Ihnen widersprechen, wenn ich sage, dass sich Ihre Aufgabe davon unterscheidet? Dass Sie im Dienste der Regierung einen viel höheren Standard anlegen müssen?«
    Keine Hand erhob sich. Kein Einspruch von Wendy, die in diesem Punkt offensichtlich nicht allzu heikel erscheinen wollte. Also behielt ich den eingeschlagenen Kurs bei. Für Tom galt bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung; nur weil die Regierung ihn anklagte, war er noch lange nicht schuldig, und so weiter – Dinge, die jeder wusste, die zu betonen aber in diesem Zusammenhang lohnte. Und Wendy konnte schlecht Einspruch einlegen. Schließlich gehörten diese Prinzipien zu den

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