Der falsche Mann
Bruce McCabes Kanzlei. Sie versuchten zu rekonstruieren, was an jenem Tag geschehen war, als Kathy die E-Mail abgeschickt hatte, die vernichtet worden war und die Tom nie erhalten hatte: Wo Bruce McCabe an jenem Tag gewesen war, wer die E-Mail geöffnet und gelesen hatte und wo das Ganze geschehen war, hier im Büro oder außerhalb.
» Bleib dran und fördere was Hilfreiches zutage. Jemand hat dafür gesorgt, dass Tom diese E-Mail nicht kriegt. Es muss McCabe gewesen sein.«
Als ich am Samstagmittag in meine Kanzlei zurückkehrte, waren es noch genau sechsunddreißig Stunden bis zur Eröffnung der Beweisführung der Verteidigung. Und Tom Stollers Schicksal hing jetzt ganz allein von dem ab, was wir bis dahin fanden.
80
» Bruce McCabe«, wiederholte ich am Telefon. » M-c, großes C, a-b-e. Er war einer der namensgebenden Partner der Kanzlei.«
Am anderen Ende der Leitung stieß Wendy Kotowski einen Seufzer aus. » Aber ich sage nicht Ja.«
Allerdings sagte sie auch nicht Nein. Sofern sie noch die Wendy Kotowski war, die ich einmal gekannt hatte, stellte sie als Anklägerin ein gerechtes Urteil über einen Sieg. Nach dem gestrigen Tag mussten ihr gewisse Zweifel gekommen sein. Sie kannte meine Kapriolen vor Gericht, daher war sie zu Anfang mit Recht skeptisch gewesen, doch hatte ich mein übliches theatralisches Gebaren weit hinter mir gelassen, und das wusste sie. Keine Ahnung, ob sie mir wirklich glaubte, was ich sagte, aber offenbar glaubte sie, dass ich es glaubte.
» Mit Joel Lightner wollen die nicht reden«, erklärte ich Wendy. » Die rücken keine Informationen raus. Bitte – prüf es selbst nach, auch wenn du es nachher für dich behältst. Zehn zu eins, dass die Cops Zweifel an McCabes angeblichem Selbstmord haben. Ein Dinner bei Marleys, wenn sie nicht von einem als Selbstmord getarnten Mord ausgehen.«
» Kolarich, zuallererst, verkauf mich bitte nicht für blöd, ja? Wir beide wissen, wenn ich diese Frage stelle und eine Antwort kriege, bin ich automatisch verpflichtet, sie dir mitzuteilen.«
Natürlich hatte sie recht. » Und wir beide wissen, dass ich dich bitte, das Richtige zu tun. Das ist der Mann, den Kathy Rubinkowski wegen Summerset Farms aufgesucht hat. Er ist der Mann, der sie hat abfahren lassen. Und auch wenn ich es vielleicht nie werde nachweisen können, er ist der Kerl, der Kathys Mail aus Tom Rangles Computer gelöscht hat, bevor dieser sie lesen konnte. Tja, und kaum fange ich an, bei ihm herumzuschnüffeln, hängt sich der Kerl plötzlich auf? Ich meine, wie viele Zufälle braucht es noch, damit das Ganze für dich nicht nur Schall und Rauch ist?«
» Ich brauche keine Predigten von dir, Jason.«
» Nein, das brauchst du nicht. Du weißt, was zu tun ist. Also tu es.«
Ich drückte die Austaste.
» Das war schroff«, sagte Tori, die neben mir in meinem SUV saß.
War es auch. Aber ich hatte Vertrauen in Wendy. Und wenn sie nicht mit den Detectives sprach, die Bruce McCabes Selbstmord untersuchten, dann würde ich die Männer vorladen und sie selbst fragen. Was ihr klar war, sodass unsere ganze Unterhaltung etwas Gekünsteltes hatte. Gekünstelt, aber notwendig. Es war besser, Wendy hatte bei der ganzen Sache das Gefühl von Freiwilligkeit. Umso mehr Bedeutung hatte das Ergebnis dann für sie selbst.
Ich bog nach rechts in westliche Richtung ab. » Ich weiß nicht, warum ich mich hab überreden lassen, dich mitzunehmen«, sagte ich.
» Weil du so gerne Zeit mit mir verbringst.« Tori legte eine Hand auf meine, die in meinem Schoß lag. » Weil du nicht so unentschieden bist wie ich.«
» Das könnte gefährlich werden, Tori. Das ist kein Spaß.«
» Ich lache auch gar nicht.«
Nein, das tat sie nicht, aber sie war guter Laune. Räuber und Gendarm zu spielen, schien ihre Stimmung immer zu heben – von unserem ersten Besuch eines Tatorts über den Ausflug zu Summerset Farms bis heute. Damit rückte unsere Beziehung aus dem Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Vielleicht sollte mir das ja etwas verraten.
Ich hielt nach Straßenschildern Ausschau und fuhr langsamer, während wir uns der gesuchten Straße näherten. Als das Schild auftauchte, waren wir noch etwa einen halben Block von der Adresse entfernt. Ich parkte am Straßenrand.
Prompt klingelte mein Handy. Das Display verriet mir, dass es mein draufgängerischer Assistent Bradley John war. Oder John Bradley. Manchmal vergaß ich das.
» Hallo, schöner Mann«, sagte ich.
» Ich hab’s gefunden. Die bundesstaatliche
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