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Der falsche Mann

Der falsche Mann

Titel: Der falsche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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Zweifel, wo immer sich die Möglichkeit dazu bot. Wenn Tom das Opfer zuerst erschossen und dann beraubt hatte – die Theorie, die am meisten Sinn ergab –, wie hatte er es dann geschafft, ihr die Handtasche, das Handy und die Halskette abzunehmen, ohne Blut abzubekommen. Und wenn er sie zuerst beraubt und im Anschluss erschossen hatte – warum bewegte er sich dann zunächst vom Opfer aus gesehen in südliche Richtung, wo sein späterer Fluchtweg doch in nördlicher Richtung lag? Und warum entfernte er sich zuerst dreieinhalb Meter von ihr, bevor er sie erschoss? Wenn er sie beraubt hatte und sie aus irgendeinem Grund töten wollte, dann wäre ein Schuss aus nächster Nähe doch naheliegend gewesen.
    Dies war als Kreuzverhör getarnt in Grundzügen mein Abschlussplädoyer. Ich hatte es in Teile zergliedert und stellte meine Fragen ohne chronologische Ordnung. Doch in meinem Resümee würde ich die Teile für die Jury in einen klar erkennbaren Zusammenhang bringen.
    Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass in dieser letzten Stunde ein allgemeines Wen-juckt’s -Gefühl vorherrschte. Es fanden sich keine Blutspuren an Tom, weil er aus der Distanz geschossen hatte, und als er ihre Sachen gestohlen hatte, da war er einfach vorsichtig gewesen. Und was die Chronologie des Tathergangs betraf: Wen juckt’s, ob er sie erst beraubt oder erst erschossen hat? Niemand hat gesehen, wie’s passiert ist. Aber das heißt noch lange nicht, dass es gar nicht passiert ist. Präzise Details spielten in der Theorie der Anklage keine Rolle.
    All diese Punkte strich Wendy Kotowski in ihrer erneuten Befragung des Zeugen heraus. Ich verzichtete auf ein erneutes Kreuzverhör, und die Anklage schloss ihre Beweisführung ab. Aus meiner Sicht ging die Jury mit dem Gefühl ins Wochenende, dass Tom Stoller schuldig war.
    Ich sprach kurz mit Tom, bevor sie ihn zurück ins Body Center schafften. Tante Deidre fand, mein Kreuzverhör sei gut gelaufen, aber sie war natürlich nicht gerade unparteiisch. Ich selbst gab mir eine solide 3+, trotzdem stand es immer noch Anklage gegen Verteidigung, 4:0.
    Den Samstagvormittag verbrachte ich mit Deidre und Tom und ging mit Tom seine Aussage durch, zumindest theoretisch. Praktisch versuchte ich, ihn dazu zu bewegen, sich zu öffnen und mir etwas über die Ereignisse vom 13. Januar zu erzählen. Aber sofern es ihm überhaupt gelang, sich zu konzentrieren, beharrte er darauf, dass er sich an nichts erinnern konnte. Es war doppelt frustrierend, weil mir mein Mandant nicht half und ich gleichzeitig kostbare Zeit verlor, in der ich die Ermittlungen gegen Global Harvet hätte weitertreiben können.
    Um elf Uhr an diesem Vormittag traf ich eine Entscheidung.
    » Ich werde ihn nicht als Zeugen aufrufen«, informierte ich Deidre draußen vor dem Boyd Center. » Er kann uns nicht helfen. Er wird den Mord nicht abstreiten. Und wir dürfen seine Gedächtnislücke nicht durch seine geistige Krankheit erklären. Der Richter hat das ausgeschlossen, weil Tom nicht mit den Psychiatern der Staatsanwaltschaft kooperieren wollte.«
    » Weil er es nicht konnte«, schluchzte sie. » Er kann es nicht. Er ist so krank, Jason.«
    » Das weiß ich.« Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. » Der Richter hat eine falsche Entscheidung getroffen. Er hat uns reingelegt. Aber es hat keinen Sinn, deswegen Tränen zu vergießen. Stattdessen konzentrieren wir uns lieber auf die Schwächen in der Beweisführung der Anklage. Und da gibt es einige. Außerdem werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um bis Montagmorgen genügend belastendes Material gegen Global Harvest zu sammeln.«
    Sie suchte in meinem Gesicht nach einem Zeichen der Hoffnung. » Glauben Sie, der Richter wird das zulassen? Sie haben gesagt, er erwägt es?«
    » Ich denke, er erwägt es. Ja. Aber je stichhaltiger die vorgelegten Beweise sind, desto besser stehen unsere Chancen. Ich werde mich jetzt auf den Weg machen, um die neuesten Ergebnisse meiner Anwälte und Ermittler zu erfahren.«
    Sie nickte schweigend. Sie brauchte Trost, aber das Beste, was ich für sie und ihren Neffen tun konnte, war, so schnell wie möglich zurück in meine Kanzlei zu fahren.
    Unterwegs rief ich Shauna auf dem Handy an. Sie ging nicht dran, rief mich aber nach dreißig Sekunden zurück.
    » Tut mir leid, dass ich nicht gleich drangegangen bin«, sagte sie.
    » Wie steht’s?«
    » So weit, so schlecht.« Shauna war mit Kathy Rubinkowskis direktem Vorgesetzten Tom Rangle drüben in

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