Der falsche Mann
Warum sollte er Aufmerksamkeit auf sich lenken?
Ich füllte die medizinischen Fragebogen aus und verließ dann das Krankenhaus. Tori wartete draußen mit laufendem Motor auf mich, und ich sprang in den SUV .
» Das … war nicht richtig«, sagte sie zu mir gewandt.
» Da hast du recht.« Ich blickte sie an. » Du hättest mich nicht bremsen sollen.«
» Das hab ich nicht ge…«
» Ich versuche, hier Leben zu retten, Tori. Dieser Kerl will irgendwas in die Luft jagen. Da bleibt keine Zeit für irgendwelchen menschelnden Bürgerrechtsscheiß. Tut dir dieses Arschloch etwa leid?«
» Darum geht’s nicht …«
» Verdammt, natürlich geht’s darum. Glaubst du vielleicht, es hat mir Spaß gemacht?«
Sie schwieg. Was einer Antwort gleichkam.
» Okay, jetzt bin ich also der Soziopath«, schäumte ich. » Ich schlage einen Terroristen, und deswegen bin ich jetzt der Böse. Ich werde eingesperrt, damit er in Ruhe einen Massenmord planen kann.«
Sie blickte weg. » Lass uns einfach nach Hause fahren«, sagte sie ein wenig kleinlaut.
» Ja, einverstanden. Und vielen Dank für deine Begleitung, Tori. Du warst eine echte Hilfe.«
Sie antwortete nicht. Es gab nicht mehr viel dazu zu sagen. Mein Vorgehen tat mir kein bisschen leid. Ich bereute nur, dass ich nicht mehr aus ihm herausgeholt hatte. Tatsächlich hatte ich im Grunde gar nichts bekommen, außer der Bestätigung, dass ich auf der richtigen Spur war.
Wir fuhren eine Weile, bis wir wieder auf die Hauptstraßen gelangten und dann auf den Highway. Jetzt, da das Adrenalin weg war, fühlte ich mich völlig erschöpft. Mein Schädel pochte, und mein Knie erinnerte sich plötzlich daran, wie sehr es schmerzte.
» Was ist in der Sporttasche?«, fragte ich. » Was hast du aus dem ersten Stock mitgenommen?«
» Alles, was auf seinem Schreibtisch lag«, antwortete sie. » Ein Stapel Papiere, den ich nicht durchsehen konnte.«
» Was ist mit seinem Handy oder seinem Computer?«
» Ich konnte nirgendwo einen Laptop entdecken. Nur einen PC , den ich nicht hätte wegschleppen können. Und es war nirgendwo ein Handy zu finden. Ich hatte ja auch kaum Zeit, Jason. Es hat sich angehört, als würdest du ihn umbringen.«
Ich hatte nicht die Energie, die Diskussion über Bürgerrechte wieder aufzuwärmen. Ich betete einfach nur, dass sie irgendetwas Brauchbares aufgetan hatte.
84
Zurück in meinem Hotelzimmer leerte ich die blaue Sporttasche aus, die Tori aus Stanley Keanes Büro mitgenommen hatte. Mein ursprünglicher Optimismus ebbte rasch ab beim Sichten von Stanleys Telefon- und Kabelfernsehrechnungen, Briefen seiner Krankenkasse, Gehaltsabrechnungen seiner Firma und einem Schreiben von Publishers Clearing House, das ihm einen möglichen Gewinn von einer Million Dollar ankündete.
Aber bevor ich zu einem zweiten provisorischen Stapel übergehen konnte, der ähnlich irrelevanten Kram zu enthalten schien, machte mein Herz plötzlich einen Sprung. Unter dem Stapel lag eine zusammengefaltete Karte der Innenstadt.
Ich breitete sie auf dem Tisch aus. Die Karte beschränkte sich auf den Geschäftsbezirk, der im Westen von der Nord-Süd-Schleife des Flusses und im Osten vom See begrenzt wurde; insgesamt umfasste sie zwölf Häuserblocks, die durch den von Osten nach Westen verlaufenden Seitenarm des Flusses in zwei Hälften unterteilt wurden.
Die Markierungen mit Rotstift fielen mir sofort ins Auge. In der Nähe der südlichen Grenze war neben dem Hartz Building am South Walter Drive ein rotes X eingetragen. Daneben stand von Hand geschrieben die Zahl 12. Von dort führte ein roter Strich nördlich die South Walter hinauf zum River Drive, überquerte die Lerner Street Bridge und endete am Federal Building. Neben dem Federal Building war ein weiteres X eingetragen, ebenso wie beim zwei Blocks entfernten State Building. Neben State und Federal Building stand jeweils die Zahl 1.
» Das ist es«, sagte ich zu Tori, die auf dem Bett neben mir saß. » Sie werden das Hartz Building und das State und das Federal Building in der Innenstadt in die Luft jagen.«
» Das Hartz Building?«, fragte Tori. » Was ist das? Was befindet sich dort?«
» Keine Ahnung. Ich kenne da ein paar Kanzleien.« Ich folgte der Route mit meinem Finger. » Angenommen zwölf und eins sind Uhrzeiten, dann werden sie um zwölf – oder um Mitternacht – beim Hartz Building zuschlagen und dann eine Stunde später bei den Regierungsgebäuden.«
Das kam mir merkwürdig vor. Ich hatte noch nie einen
Weitere Kostenlose Bücher