Der falsche Mann
Bombenanschlag geplant und daher zugegebenermaßen wenig Ahnung von der Materie, dennoch schien es mir wenig einleuchtend, die Anschläge nicht gleichzeitig durchzuführen.
» Die Frage ist der Zeitpunkt«, sagte Tori. » Morgen, in einem Monat, wann?«
Das war nicht die einzige Frage. Aber keiner von uns kannte die Antworten. Und Stanley Keane stand nicht länger für Fragen zu Verfügung. Wären wir bei ihm zu Hause anders vorgegangen, hätten wir vielleicht diese Karte rechtzeitig entdeckt und ihn dazu befragen können.
Doch das war Schnee von gestern. Es war sinnlos, diese Diskussion noch einmal aufzurollen.
» Ich rufe das FBI an«, sagte ich.
Ich blickte mich um und fand mein Handy. Gerade als ich danach griff, begann es zu klingeln. Ich hasse es, wenn das passiert.
Diesmal war es möglicherweise anders. Denn die Anruferkennung verriet mir, dass es Wendy Kotowski war, meine Widersacherin im Gerichtssaal.
» Morgen früh um neun«, verkündete Wendy. » Im Büro der Rechtsmedizin. Wenn du nur eine Minute zu spät bist, lass ich dich nicht mehr rein.«
85
Wendy Kotowski, Detective Frank Danilo und ich beugten uns über einen Tisch im Büro der leitenden Rechtsmedizinerin des Bezirks, Dr. Mitra Agarwal.
» Das«, sagte die Medizinerin, » sind Fotos eines Mannes, der sich vor drei Wochen in einer psychiatrischen Klinik erhängt hat.« Sie deutete auf die Blutergüsse, die vom Nacken aus an beiden Seiten des Halses schräg nach vorne unten verliefen und sich in der Mitte seiner Kehle trafen.
» Die Wirkung der Schwerkraft bei einem Sturz aus einer gewissen Höhe – dieser Mann sprang von einer Leiter – erzeugte eine Strangfurche in Form eines V«, sagte die Ärztin. » Sein Genick war nicht gebrochen. Beim Erhängen bricht fast nie das Genick, und bei einer Höhe von einem Meter achtzig oder weniger ist es so gut wie ausgeschlossen. Dieser Tote weist keine Quetschungen der Hals- oder Kehlkopfmuskulatur auf, was ebenfalls für Selbstmord spricht. Und schauen Sie hier.« Sie zeigte eine Reihe weiterer Fotos. » Man sieht keine zusätzlichen Blutergüsse neben der Strangfurche, die auf irgendeine Form von Kampf oder Widerstand hindeuten. Keine Schnitte oder Abschürfungen. Dies«, folgerte sie, » ist ein klassischer Selbstmord durch Erhängen.«
Okay. So weit, so gut. Und nun würden wir uns hoffentlich unserem toten Lieblingsanwalt Bruce McCabe zuwenden.
» Und hier sind Aufnahmen des zu untersuchenden Toten, Mr. … McCabe.«
Sie ließ zwei aus leicht unterschiedlichen Winkeln gemachte Aufnahmen von Bruce McCabes Hals und Schultern auf den Tisch fallen. Mir stockte der Atem.
» Beachten Sie, dass die Strangfurche in gerader Linie quer über die Kehle verläuft«, sagte sie. » Außerdem ist das Genick des Toten gebrochen. Und wir fanden innere Quetschungen der Halsmuskulatur.«
Sie legte zwei weitere Fotos dazu.
» Und schließlich«, sagte sie, » sehen Sie weitere Blutergüsse und Abschürfungen rund um die Strangfurche, ebenso wie an Kinn und Wangen. Spuren eines Kampfes. Er hat verzweifelt nach der Schnur um seinen Hals gegriffen.«
Ich blickte zu Wendy, dann zu der Ärztin.
» Bruce McCabe hat also nicht Selbstmord begangen«, sagte ich.
» Bruce McCabe wurde von hinten stranguliert.« Die Ärztin nickte. » Er war tot, lange bevor sie ihm eine Schlinge um den Hals legten und ihn aufhängten.«
***
» Ach, komm schon, Wendy«, sagte ich draußen vor dem Büro der Rechtsmedizin. Es war einer der seltenen Dezembertage, an denen sich die Sonne zeigte. Letzte Nacht war etwas Schnee gefallen, er glitzerte im Sonnenlicht. » Der Anwalt, der zu vertuschen versuchte, was Kathy Rubinkowski aufgedeckt hatte, wird tot aufgefunden, just als ich anfange herumzuschnüffeln? Diese Kerle verwischen ihre Spuren, sie bauen eine Wagenburg.«
Wendy stand mit verschränkten Armen da und ließ sich demonstrativ Zeit mit ihrer Antwort.
» Du hast diese Information schon eine ganze Weile, Jason. Aber du hast mir nie was davon gesagt, um den Überraschungseffekt auf deiner Seite zu haben – doch jetzt, jetzt knallst du sie mir vor den Bug und erwartest, dass ich freudig darauf reagiere? Dir brav aus der Hand fresse wie ein Hund?«
Ich schüttelte den Kopf. » Ich erwarte nur, dass du diesen Punkt sorgfältig erwägst«, sagte ich. » Ich erwarte, dass du ihm den nötigen Stellenwert beimisst und anerkennst, dass deine Cops vielleicht vorschnell über meinen Mandanten geurteilt haben. Ich verlange nicht,
Weitere Kostenlose Bücher