Der falsche Mörder
der Schule. Sie sagte, dass sie Model oder Schauspielerin werden wollte und war von der Idee ganz eingenommen.«
»Wusstest du, dass sie in Strip-Bars getanzt hat?«
»Sjöfn hatte manchmal finanzielle Engpässe, wie das so ist, und hat mir gesagt, dass das eine gute Geldquelle wäre, um schnell an Geld zu kommen«, antwortet Sigurlína.
»Aber ich finde es ganz schön unanständig vom Fernsehen, jetzt alle diese Bilder von ihr zu zeigen, wo sie tot ist. Die kleine Sjöfn hat das gleiche Recht wie jeder andere, in Frieden zu ruhen.«
»Wann hast du zuletzt etwas von ihr gehört?«
»Ich glaube, es war vor drei oder vier Wochen. Sjöfn hat erstaunlich oft hier im Westen angerufen; sie hat sich meistens zwei bis drei Mal pro Monat bei mir gemeldet.«
»In welcher Stimmung war sie denn?«
»Sie hat mir von einer großen Rolle erzählt, die man ihr versprochen hatte, und sie klang sehr zufrieden. Ich fragte sie wie schon so oft, ob sie mich nicht zur Uroma machen wollte, bevor ich sterben würde, und sie antwortete lachend, dass man das ja nie wissen könne.«
Sigurlína beugt sich in ihrem Sessel nach vorn.
»Diese Antwort kam für mich sehr überraschend«, fügt sie hinzu, »weil Sjöfn mir immer gesagt hat, dass ich mich damit abfinden müsste, dass ihr nicht der Sinn danach stünde, Hausfrau und Mutter zu werden.«
»Hat sie näher erklärt, was genau sie damit gemeint hat?«
»Nein, das hat sie nicht, und ich habe auch nicht weiter nachgefragt, denn sie sagte, sie sei auf dem Weg ins Theater.«
Sigurlína erzählt mir noch ein paar Geschichten aus den Jahren, als Sjöfn ein kleines Mädchen war. Dabei versucht sie, mich zum Kaffeetrinken zu bewegen und mehr Plätzchen in mich hineinzustopfen. Aber ich kann mich immer galant herausreden.
Auf dem Weg zur Tür ergreift sie meinen Arm. Vorsichtig »Da war noch was, was ich gerne wissen würde«, sagt sie und schaut mir direkt in die Augen. »Glaubst du, dass die kleine Sjöfn sehr gelitten hat?«
Mir ist sofort klar, dass sie über den Zeitpunkt des Todes spricht.
Habe natürlich keine Ahnung, welches die richtige Antwort auf die Frage ist.
Versichere ihr aber trotzdem, dass Sjöfn bestimmt auf der Stelle tot war. Wahrscheinlich habe sie erst verstanden, was passiert ist, als alles schon vorbei war. Das könnte sogar stimmen.
»Eine weiße Lüge ist manchmal wie die verkleidete Wahrheit.«
Sagt Mama.
14. KAPITEL
H eute gebe ich der Vernunft Vorfahrt.
Meistens marschiere ich ziemlich leicht bekleidet ins Nachtleben. Aber heute Abend will ich kein Risiko eingehen. Nicht in dieser Scheißkälte.
Dann könnte ich mir auch gleich eine Lungenentzündung bestellen.
Daher durchsuche ich meinen Kleiderschrank im Schlafzimmer genauer. Ziehe dunkelrote Hosen aus feinstem Leder heraus. Und den warmen, kuschelweichen Kaschmirpullover. Und meine neueste Lederjacke.
Unten in der Diele bleibe ich vor einem großen Spiegel stehen. Er hängt an der Wand direkt gegenüber von meiner Bürotür. In einem geschnitzten Holzrahmen.
Ich schaue kritisch auf mein Spiegelbild. Sehe wenig Bewundernswertes. Außer natürlich meinem blonden Haar, das weich über meine Schultern fällt.
Es war schon immer mein Prachtstück.
Bevor ich mich ins Nachtleben stürze, setze ich mich noch mal vor den Computer, um nach meiner Post zu sehen. Will heute Abend nichts beantworten. Nur mal gucken. Zur Sicherheit.
Die vorletzte Mail hat keinen Absender. Und auch kein Stichwort. Sie ist völlig namenlos.
Vielleicht ein Virus?
Nach kurzem Zögern öffne ich sie doch. Lese die ersten Zeilen.
Uff!
Das ist ein Brief von diesem Typen, der vorgibt, Geirfinnur Einarsson zu sein. Der gibt wohl nicht auf!
Ich überfliege schnell die Nachricht.
du hast gesagt, dass ich eine mail schreiben soll, um dir zu beweisen, dass ich es ernst meine heute morgen bin ich ins cybercafe an einen computer gegangen und habe im internet nach »geirfinnsfall« gesucht. ich habe einiges dazu gefunden und bin total geschockt ueber das, was ich gelesen habe. ich verstehe nicht, wie jemand denken koennte, dass ich umgebracht wurde. ich hatte einfach die nase voll und wollte noch mal von vorne anfangen. hatte guten kontakt zu einem ami auf dem stuetzpunkt, der mir anbot, mir eine fahrt auf einem frachter nach amerika zu besorgen; die chance habe ich sofort ergriffen. seitdem bin ich hier und da gewesen. habe nur einmal einen islaender getroffen, den ich wiedererkannt habe, aber der hat nichts zu dem thema gesagt.
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