Der falsche Mörder
Flucht des Bewusstseins aus der schrecklichen Realität nennen soll.
Verdammte Ratte.
Ich spüre, wie steif mein Körper ist. Er schmerzt überall, ausgelaugt nach dem langen Aufenthalt auf dem knallharten Fußboden.
Zuerst richte ich mich vorsichtig auf meinen Knien auf.
Ich habe das Gefühl, unglaublich kraftlos und wehleidig zu sein. Wie eine gebrechliche Alte.
Danach versuche ich, aufzustehen.
Das geht erst, als ich mich an etwas festhalte. Greife nach etwas, das sich in Reichweite befindet. Eine große Klinke.
Der Türgriff.
Während ich versuche, auf die Füße zu kommen, gibt die Tür unter meinem Gewicht nach. Sie öffnet sich ein klein wenig.
Also hat er auch wieder aufgeschlossen. Das Arschloch.
Aber wer zum Henker ist dieses Schwein?
Ich starre lange auf die stahlgraue Tür. In ärgerlicher Verwunderung.
Löse dann das weiße Stofftaschentuch, das von außen an die Klinke gebunden wurde.
In jede Ecke ist eine rote Rose gestickt.
Soll das etwa lustig sein?
Ich ertrage es nicht länger, an diesem entsetzlichen Ort zu sein.
Raus!
Ich muss hier sofort raus. So schnell wie möglich.
Raus an die frische Luft.
Mir fällt noch nicht mal ein, das Gerümpel im Lagerraum genauer zu durchsuchen. Bin ganz sicher, dass hier nichts zu finden ist, was mir in irgendeiner Weise hilfreich sein kann.
Der Brief mit der Zeichnung und dem Schlüssel war mit Sicherheit von Anfang an ein kaltblütiger Scherz. Ein brutaler Versuch, mich für meine gefährliche Neugier zu bestrafen, die ich gegenüber den kriminellen Aktionen von Matti und Konsorten zeige.
Da bin ich ganz sicher.
Jetzt.
Die Wut kommt zurück. Gibt mir Kraft.
Matti kennt mich schlecht, wenn er glaubt, er könnte sich seinen Frieden erkaufen, indem er mich erschreckt und mir Angst macht. Indem er mich in diese furchtbare Falle lockt.
Warte nur, du Schuft!
Ich werde ihm dieses unsportliche Benehmen auf angemessene Weise heimzahlen. Ich bin entschlossen, ihn Tag und Nacht heimzusuchen. Ihn bis zum Untergang der Welt zu verfolgen wie die aufbrausende und gnadenlose Rachegöttin persönlich, die unermüdlich ist. Oder so.
Ich versuche, aus dem Kellerraum zu staksen.
Gehe langsam am Lastwagen vorbei, der mitten im großen Lager steht.
Spüre, wie meine Körperkräfte langsam wiederkommen.
Nähere mich stetig der Tür. Und der Freiheit.
Draußen ist es hell. Aber kalt.
Ich ziehe die Tür knallend hinter mir ins Schloss.
Lehne mich gegen die unebene Hauswand. Atme immer wieder tief ein. Genieße es wie nie zuvor, die Lungen mit kühler, klarer Seeluft zu füllen, die mit einer frischen Brise ins Land geweht wird.
Es wird bald zwölf Uhr. Mittags.
Ich habe also da drinnen mehr als zwölf Stunden gelegen.
Verdammtes Schwein!
Im Angesicht von Freiheit und Wut fasse ich wieder Mut.
Bald marschiere ich Richtung Parkplatz am Hafen los, wo ich gestern Abend meinen Silberpfeil geparkt habe.
Plötzlich bleibe ich stehen. Direkt oberhalb des Meeres.
Lausche, wie die Wellen fröhlich die aufgeschütteten Felsen umspülen.
Gucke über den Faxaflói. Auf die vielfältigen Formen der Berge nördlich und östlich der Stadt. Auf die schneebedeckten Gipfel. Auf die glänzende Kuppe des Snaefellsjökull, die in der Mittagssonne glänzt. Und auf die steilen Hänge der Esja. Sie erscheinen so unglaublich nahe in ihrer grauweißen Nacktheit.
Wunderbar!
Und merkwürdig.
Es kommt mir vor, als hätte ich diese mächtige Bergkette noch nie vorher gesehen. Nicht richtig jedenfalls.
Obwohl diese Wunder der Natur natürlich schon immer da gewesen sind. Ich habe mir einfach nie die Zeit genommen, um sie in der täglichen Geschäftigkeit wahrzunehmen.
Als ich nach Hause komme, springe ich schnell unter die heiße Dusche.
Lasse den harten Strahl ununterbrochen auf meinen Kopf und meine Schultern donnern.
Als ob dieses kochend heiße Wasser Körper und Seele von den Bedrohungen der Nacht reinigen könnte. Als ob sie damit in den Abfluss gespült werden könnten, um nie mehr wiederzukommen.
Aber natürlich klappt das so nicht.
Später lege ich mich nackt ins Bett. Mache mich ganz klein und kuschele mit dem Kopfkissen im Arm. Ziehe mir die weiche Decke über den Kopf.
Ganz langsam erlaube ich meinem Gehirn, sich in die Unterwelt der Erinnerungen zu begeben. Weiß, dass ich den Monstern der Dunkelheit noch einmal begegnen muss, bevor es mir gelingt, sie wieder in die abgrundtiefen Schlangengruben zurückzudrängen.
»Furcht ist die Hebamme der
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